05. Februar 2009: Einstieg in die Winterwege

Wir starteten, nachdem wir rund 850 Liter Benzin aufgenommen und das Bioethanolmischungsverhältnis hergestellt hatten, gegen 10 Uhr aus Ustnera und fühlen uns nun zeitweise wie Kapitäne auf einem Schiff: Mit anfänglich 1,2 Bar Luftdruck (später reduzierten wir nochmals wegen starker Schneeverwehungen auf 0,7 Bar) und als Vorsichtsmaßnahme, die sich bewähren sollte, mit ausgebauten Stabilisatoren, schaukeln die Wagen wie auf hoher See. Der Grund: Ohne die Stabilisatoren ist die Verschränkung nochmals viel besser und die elektrischen Diskonnektoren werden durch das viele Eis nach dem Einbrechen in Wasser einfrieren. Das wollten wir verhindern.

Wir erreichten nach ca. 90 km Winterstraße Richtung Magadan den kleinen unscheinbaren Abzweig nach Syrianka. Dieser Einstieg markiert den Beginn der harten Winterwege Chukotkas. Von hier aus (rund 600 m über NN) führte uns unsere erste Winterwegsetappe ca. 60 km auf den zugefrorenen Flüssen Burustach und Andigitschan Richtung Sasyr. Insgesamt legten wir in 15 Stunden Fahrt rund 220 km zurück, überquerten drei Pässe bis auf 1.300 m über NN, halfen zwei LKW-Fahrern, die mit Motorschaden liegen geblieben waren, indem wir über Satellitentelefon einen Notruf an die Zentrale absetzten, fuhren durch das Aquarium* und winchten mehrfach mein komplettes Gespann aus Tiefschnee, wenn ich beim Durchbrechen des Schnees stecken blieb.

In jedem Fall haben sich die Winden bei den jetzt rund acht Tonnen schweren Gespannen ein ums andere Mal bewährt - wie auch die Spezial-Anhängerkupplungen von Rockinger. Sie ermöglichen extremste Verschränkung zwischen Fahrzeug und Trailer - und die hatten wir zur Genüge.

Die Winterwege sind von 6x6 oder 8x8 Trucks "durchgebrochene Tracks". Sie führen querfeldein, entlang oder durch/über Flüsse, Wälder, Hänge, Ebenen, etc. Gerade so, wie die Trucks durchkommen. Oft waren wir mit 10 km/h oder weniger unterwegs und fuhren durch Täler oder Hochebenen und über Pässe, die von gewaltiger Schönheit sind. Auf einer dieser Hochebenen musste vor kurzem ein heftiger Sturm getobt haben: Es sah aus wie nach einem Erdbeben. Überall Zacken, Eis und meterhohe Schneeverwehungen, die im unwirklichen Scheinwerferlicht wie aufgebrochene Erde aussahen.

Unterwegs trafen wir Trucker in ihren Extrem-Urals und -Kamaz, die sich verwegen durchkämpfen. Sie berichteten uns von mehreren offenen Flüssen, die wegen warmen Wassers nicht zufrieren. Bei ihrer Überquerung sollten wir vorsichtig sein. Nachdem wir gegen 3 Uhr morgens den offenen Fluss erreicht hatten, stoppten wir und richteten uns für die Nacht ein. Den Fluss bei Nacht zu durchqueren war zu gefährlich. Am nächsten Morgen traf es sich sehr gut, dass wir einen LKW-Konvoi auf uns zukommen sahen. Die Trucks durchquerten den Fluss auch nur mit Mühe. Wir konnten zusehen, wie ein Kamaz aus dem Fluss geborgen wurde, der die meterhohe Eisstufe nicht erklimmen konnte. Nicht weit von der Stelle, wo die Trucks querten, fand Kaspar eine zerstörte alte Brücke: Die LKWs trägt sie nicht mehr, aber unsere Fahrzeuge hoffen wir, wird sie aushalten, um uns eine heftige Winchaktion zu ersparen ...

*Das Aquarium: Bei LKW-Fahrern berüchtigter kleiner See, kurz vor dem dritten Pass, auf dem sich in der Regel Nalid Eis bildet. Als wir am Morgen LKW-Fahrer trafen, sagten sie uns, es sei ca. 5 cm dick. Nachmittags waren es schon 30 cm und als wir eintrafen, brachen wir bis über die Achsen ein. Wir mussten es durchfahren, da wir damit rechneten, dass wir am nächsten Morgen noch tiefer einbrechen und uns die Autos am aufgebrochenen Eis der Trucks, welches wild hochsteht, beschädigen würden. Das hatte aber auch zur Folge, dass wir nicht wie ursprünglich geplant auf dem dritten Pass übernachten konnten (die Temperaturen sind in der Höhe in der Regel bis 10° C wärmer als im Tal), sondern weiter fahren mussten um zu verhindern, dass die Räder, Bremsen und Achsen nach der Wasserdurchfahrt einfrieren.

Feeling Gruppe: Nach sechs Stunden Schlaf und einem ausgedehnten Frühstück in herrlicher Landschaft bei Sonnenaufgang war die Power wieder da, nachdem zuvor die Anstrengungen an den Nerven zehrten ...

06. Februar 2009: Sasyr

Die kleine Brücke hielt. Und als wir danach auch noch eine große Fläche Nalid Ice ohne Probleme durchfuhren, weil es schon wieder gefroren war, erschien der Tag gebongt. Ein schwieriger Teilabschnitt war genommen!

Auf unserem weiteren Weg entdeckten wir zwischen Bäumen ein Basecamp der Rentierhirten: Es war vorübergehend verlassen, aber beeindruckte uns doch. Auf ein paar zusammengebundenen Holzplanken in ungefähr 1,5 m Höhe wird in Fellen geschlafen. Als Schutz dient lediglich eine notdürftige Plane. Schon gestern sahen wir Spuren eines oder mehrerer Hirten mit einer großen Anzahl von Tieren und folgten ihnen - ohne sie jedoch zu treffen.

Gegen 17 Uhr erreichten wir das von unserem nächtlichen Rastplatz rund 85 km entfernte native Dorf Sasyr. Es ist hauptsächlich von Pferde- und Rentierhirtenfamilien bewohnt und hat eine lange Tradition. Hier steht auch das einzige Museum, das die Historie des Volksstammes der Ewenen zeigt.

Keine fünf Minuten nachdem wir einfuhren, umringten uns vielleicht 20 Kinder. Groß war die Freude, als wir ihnen in dem kleinen Shop Schokolade kauften. Direkt lud uns eines der etwas älteren Kinder zu sich nach Hause ein. Dort angekommen bewirtete uns die Familie mit Tee und Gebäck ...

Anschließend fuhren wir noch rund 70 km über heftigste Buckelpisten durch Wälder bis zu unserem jetzigen nächtlichen Standplatz im Tiefschnee bei -48°C ...

07. Februar 2009: Vom Leben unterwegs

Ich hatte mich knapp verkalkuliert. Als wir am Morgen aufwachten, war dies nicht, weil der Wecker klingelte oder wir ausgeschlafen hätten, sondern weil der Motor am F1 ausging. In der Nacht wollten wir die Tanks bei eisigen Temperaturen nicht noch auffüllen und ich kalkulierte, die Restmenge im Haupttank sollte knapp bis zum Morgen reichen. Sie tat es um eine halbe Stunde nicht. Dass eine Umpumpaktion unmittelbar nach dem Aufwachen und in schneidender Kälte nicht wirklich Spaß macht und man schlagartig hell wach ist, erscheint selbstverständlich. Entschädigt wurden wir mit dem Eintreffen der ersten Sonnenstrahlen und einem Landschaftsbild, wie es sich ein Maler nicht schöner hätte ausdenken können!

Interessant ist bei uns immer das Frühstück: Die beengten Platzverhältnisse in den Wagen ringen uns in der Regel akrobatische Leistungen ab (das gilt auch für die Bildbearbeitung, die Uli während der Fahrt mit großer Fingerfertigkeit, aber mit noch mehr Geduld zu Wege bringt - leichtes bis mittelschweres Fluchen über die nächste Beule am Kopf oder Ähnliches hören wir vorne kaum noch ). Und da das Frühstück bei uns die einzige Mahlzeit ist, die wir im Ruhezustand - also ohne zu Fahren - einnehmen, geben wir uns natürlich Mühe. Da wir im Auto kochen, müssen die drei Schlafplätze mit dem Innenraumequipment in eine Küche verwandelt werden, wozu Umbaumaßnahmen notwendig sind.

Aber dann ist´s kuschelig: Dass drei Männer im Jeep komfortabel schlafen können, ist eh klar. Heute Morgen z.B. flippte mein dick bestrichenes Marmeladenbrot, das ich auf meiner Tasse abgelegt hatte, die auf dem Rand des GPS stand, das neben dem Funkgerät montiert ist und gab sich der Erdanziehung hin. Bis es mit der Marmelade nach unten die Endposition auf der Hydrauliksteuerung eingenommen hatte, streifte es noch das Funkkabel, das Lenkrad und von dort das Laptop, um schließlich über meine Hose und das Sitzfell nach unten zu rutschen ...

Mittlerweile fahren wir fast nur noch auf Flüssen oder durch Flussbetten über Treibholz. In einem dieser engen Flussläufe trafen wir Vitali und Kirill: Beide leben in einem 2,5 x 2,5 m großen, einfachen Zelt und arbeiten daran, einen Mitte Dezember in Nalid Ice eingebrochenen 6x6 Urla-Truck aus dem Eis zu befreien. Der Wagen ist ein einziger riesiger Eisklumpen. Der Trick besteht nun darin, den LKW als ganzen Eisblock aus dem Fluss zu lösen und diesen rund 9 x 3 x 1,5 m großen Brocken mittels einer Eisrampe und zwei weiteren Trucks aus dem Fluss an Land zu ziehen: Eine Mörderarbeit. Diese wird ungefähr zwei Wochen dauern. Danach braucht man nochmals rund eine Woche, um den Truck mittels großer Bunsenbrenner aus dem Eisblock raus zu tauen und rollbereit zu machen. Ein anderer Truck wird dann das havarierte Fahrzeug 200 km in die nächste Ansiedlung schleppen, wo die Reparatur beginnen kann.

Wir hoffen Syrianka in rund sieben Stunden zu erreichen ...


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