4. Tag: Sa 24.07.99 23:02 03:13

Nach Norden! Einsamkeit so weit das Auge reicht, selbst auf der Straße. Wieder kaum ein deutsches Auto zu sehen oder sonst ein ausländischer Tourist - kaum zu glauben, aber gut zu ertragen!

Die Straße vor dem Pickup hat schon fast etwas amerikanisches - schnurgerade bis zum Horizont, kein weiteres Fahrzeug hinter oder vor einem und nur Seen und Wald beiderseits der gut asphaltierten Strecke - auch so etwas kann die Wildnis sein. Ungefähr 320 km lang soll die Strecke sein, die uns das heutige Roadbook vorgibt - wir werden sehen!

Der Weg nach Norden: Straße bis zum Horizont ...

Den Ort Kajaani haben wir inzwischen hinter uns gelassen, wir folgen nun der E63 nach Norden. Verdammt leer ist es hier, ganz wie gewünscht, und vor allem: weit und breit keine Tankstelle mehr gesehen! Die Gedanken schweifen wieder zu den Kanister-Kisten, die diesmal die Zusatz-Kanister ersetzt haben, mit dem darin befindlichen Bier kommen wir sicher weit, aber der Pickup!? Nun ja, wir beschließen, bei nächster Gelegenheit zu tanken, auch wenn der Tank noch halbvoll ist - wer weiß, wie´s weitergeht!

Kurz danach erreichen wir ein Gehöft, das neben der Straße liegt und neben einem Laden auch zwei Tanks vor dem Haus stehen hat: eine Tankstelle! Schnell stehen wir vor der Zapfsäule und beschaffen neben ausreichendem Sprit für die nächste Etappe auch einige Grillwürste - gut, dass wir jetzt noch nicht wissen, wie sie schmecken werden!

Jede Menge Rentiere sind nun beiderseits der Straße zu beobachten, der Tourist tut nun auch auf nahezu vollständig leerer Piste gut daran, hier nicht ohne Sinn und Verstand herum zu rasen, sondern auf ständig herumlungernde "Ureinwohner" zu achten.

Ren(n)tiere geleiten das Redaktionsfahrzeug ... Ein Auge kann man ja mal riskieren ...

Noch bevor wir Kuusamo erreichen, kommen wir auf die Idee, nun auch bis zur russischen Grenze "vorzustoßen", wenn wir schon mal hier sind. Die ziemlich geradlinig verlaufende 866 in Richtung Osten lässt die uns unbekannte Grenze in ca. 40 km Entfernung greifbar nahe erscheinen, wir erreichen die Abzweigung der 866 (N65°54.38773´ E029°12.6191´) und fahren nach Osten. Die Straße endet laut Karte nicht an der russischen Grenze, sie scheint östlich davon weiter zu verlaufen, offensichtlich ein Relikt aus der ereignisreichen russisch-finnischen Geschichte!

Was schreibt dazu der Finnland-Reiseführer im Internet:

"Russland fiel in Finnland 1939 ein, nachdem Finnland Gebietsabtretungen verweigert hatte. Es brach der berühmte Winterkrieg aus, in dem die finnische Armee den übermächtigen Feind mit einer Kesseltaktik abwehrte, bei der die russischen Divisionen dadurch vernichtet wurden, dass sie bei eisiger Kälte mitten in den Wäldern Ostfinnlands eingekesselt wurden. Das Gebiet von Karelien, das Finnland im Winterkrieg verloren hatte, wurde zu Beginn des Fortsetzungskrieges der Jahre 1941-44 zurückerobert. Hinzu nahm Finnland weite Gebiete von Sowjetkarelien ein. Diese Gebiete wurden von der Sowjetunion im Sommer 1944 mit einem Großangriff zurückerobert. Ihre Absicht war, wieder das ganze Land in Besitz zu nehmen... Beim Friedenschluss wurde Finnland dazu verpflichtet, den Waffenbruder des Fortsetzungskrieges, Deutschland, mit Waffengewalt aus Nordfinnland zu vertreiben, und neben den Gebietsabtretungen wurden Finnland große Kriegsentschädigungen auferlegt. Finnland behielt jedoch in den Kriegen das Wichtigste, seine Selbständigkeit."

Irgendwann erreichen wir auf holpriger Straße die Grenzabsperrungen im Vorfeld, dann schließlich die Grenze selbst - jede Menge Schilder weisen darauf hin, dass es hier zu Ende ist mit der unkontrollierten Einsamkeit ...

Vorsicht, hier gibts Rentiere und Elche ... Grenzen nach Osten mit ihrem eigenen Charme ...
... der grosse Bruder wacht überall ...

Nur kurze Zeit steht die Explorer-Besatzung im Grenzgebiet herum und wagt einige Meter hinter die Absperrung zu gehen - kaum dass der Explorer gewendet ist und die nötigsten Bilder im Kasten sind, kommt schon ein Jeep aus dem Niemandsland herausgerollt: ein finnischer Grenzer kommt näher, stoppt bei uns und fordert uns unmissverständlich zum Umkehren auf - Europa, deine Grenzen sind erreicht! Immerhin fragt er nicht nach unserer Kamera und will auch keine Bilder sehen, die wir zahlreich gemacht haben ...

Weiter darf das Redaktionsfahrzeug nicht mehr ...

Wir drehen um - entlang im menschenleeren Gebiet an einer "Bufferzone", in der überall auf die nahe Grenze hingewiesen und ein Weitergehen untersagt wird, folgen wir der russischen Grenze nach Norden. Wir sind jetzt noch ca. 40 km südlich vom Pfad der "Bärenrunde" entfernt, ein  Gebiet, das Kurt bei seinem Trip Finnland 94 besucht hatte, das wir aber nicht ansteuern wollen.

Östlich an Seen wie dem Muojarvi vorbei suchen wir unseren nächsten Campingplatz - vergeblich!

Der angepeilte Campingplatz in der Karte ist in der Realität nicht vorhanden, wildes Kurven auf den Wiesen diverser Bauernhöfe erbringt nur eines: das erste "wilde" Campen bei Heikkila am See Kiitämä ist angesagt (Camp3, N66°00.29878´ E029°44.10297´).

Wildes Campen im wilden Wald ...

Kaum angekommen und an der Hütte einsamer Fischer vorbeigefahren, stoppt unser Vorstoß auf einem Waldweg - Ende, nichts geht mehr! Wir beschließen hier zu nächtigen und bauen ein Mini-Camp auf: der erste größere Mückenangriff folgt am heutigen Abend ..

Über Mücken-Piepser scheinen sie zu lachen (sehen sie es als Konzert?), mit einzelnen Exemplaren haben wir es getestet: sie fliegen auch noch interessiert heran und landen darauf (Originaltexte der Prospekte: keine Mücke im Umkreis von 6 Metern ...). Versender wie Fritz Berger (11,95 DM), Süd-West (9,90 DM) oder Globetrotter Versand (8,90 DM) bieten derartiges an - unser Tipp: stattdessen 10,- DM-Schein anzünden, das könnte wegen der Rauchentwicklung sicher wirkungsvoller sein! Ebenfalls aufgestellte Citronella-Kerzen fliegen sie von der anderen (der windabgewandten) Seite an, eine bessere Wirkung dieser Kerzen ergibt sich in windgeschützen Ecken. Insbesondere aber der Wind selbst hilft am besten, ebenfalls Autan, doch davon später mehr im Verlauf unserer Reise! Ein Ritter vom Autan-Orden ...

Am heutigen Abend ist der zusätzliche Mückenhut auf dem anstehenden Spaziergang bis zu den umliegenden Seen das schwerste Geschütz mit entsprechenden Handschuhen: so entsteht ein "Ritter vom Autan-Orden". Die Tomcat-Kappe mit Ohrenklappen reicht zumeist aber auch allein, die Thermounterhose gemeinsam mit dem passenden Thermounterhemd ergibt einen bis oben zugeknöpften Ritter: Er ist nach allen Seiten abgedichtet und erteilt auch den "Schwestern" eine Absage, die angeblich durch mehrere Schichten durchstechen sollen ...

Sollte es doch mal schiefgehen: das Teebaumöl für "danach" ist optimal: einerseits verschwindet der Juckreiz, zum anderen klingt jede Schwellung ab - sollte man unbedingt dabei haben!

Der Abend erlebt uns nach unserem Seespaziergang im Explorer: wieder mal ist das richtige Vorgehen auf Kurzwelle gefragt und die Deutsche Welle gesucht - in der noch hellen Umgebung kann man draußen die Waldumgebung gut beobachten. Der Vorteil beim "Wildcampen" hierzulande (das nicht nur erlaubt, sondern mehr als weidlich genutzt wird als "Jedermanns-Recht" von unzähligen Womo-Campern) ist zu dieser Jahreszeit mit Sicherheit eines: hier ist abends keine Beleuchtung erforderlich und man kann ohne jede Tarnung unauffällig in der schönsten Landschaft stehen - das restliche Tageslicht begleitet uns auch heute in die Schlafsäcke ...


© 1999 J. de Haas