Die Reise nach Norden

2. Tag: Do 22.07.99 22:27 04:15

7 Uhr morgens - Ortszeit.
Der Suunto Vector weckt planmäßig - das Frühstücksbuffet wartet. Das Bordfrühstück ist für unter DM 12,- in 2 Restaurants zu haben - wirklich kein Grund zum Meckern! Das Rührei wirkt zwar industriell, aber wen stört das schon an diesem Morgen? Wir sind aus uns unbekannten Gründen "upgegraded" worden auf der Fahrt: die "GTS Finnjet" erlebt uns nicht in der Touristen-Klasse, sondern die "Seaside-Klasse" erfreut uns seit gestern, Komfort-Außenkabine mit Kühlschrank und Radio - was will man mehr auf einer solchen Überfahrt??

Ein Fensterputzer spritzt von oben mit dem Schlauch herunter, als wir auf dem Deck nach dem Frühstück entlang flanieren, er schafft es so, dass viele Deckpassagiere auch "davonspritzen" - der harte Seealltag hat sie alle eingeholt. Ärgerlich nur, dass eine Mutter ihr Handy-telefonierendes "Decks-Kid" (Ohrfeigengesicht!) 30 Sekunden zu früh warnt - schade, der Kerl entkommt mit seinem Telefon um "Wasserstrahlbreite" dem Saubermann auf dem Deck darüber - Pech gehabt (der Berichterstatter natürlich!).

Ein nur kurzer Halt in Tallinn folgt, die eindrucksvolle Hafenkulisse der Hauptstadt Estlands schlägt alle Paxe in ihren Bann, die nun an der Reling zusehen - eine wirklich komfortable Zeit für derartiges: es ist kurz nach 10:00 Uhr Bordzeit.

Die relativ kurze Schlange aus Rostock ist schnell von Bord, wir legen bald wieder ab - Erinnerungen an die "Estonia" werden wach, die ebenfalls von hier aus gestartet ist (allerdings nach Stockholm) und nie dort ankam - waren wirklich Sprengladungen am Rumpf schuld, wie neuste Darstellungen der Meyer-Werft belegen wollen ...?

Wir fahren vorbei an der "Norwegian Dream", die nur wenige Wochen später Schlagzeilen machen wird, als sie von einem Frachter gerammt wird - sind alle Schiffe derzeit in den Schlagzeilen??

Im Hafen von Tallinn ... Das Tele machts möglich: Tallinn von Bord der GTS Finnjet ...

Ein Schiff namens "TallinJet" überholt als echtes Jetboot die GTS Finnjet vor dem Einlaufen in Helsinki - wir sind fast da!

Äußerst pünktlich gegen 14:00 Uhr erreichen wir Helsinki - wieder mal ist das Explorer Team bereits viel zu früh auf dem Autodeck, um oben an Deck noch die Hafenkulisse voll auf sich wirken zu lassen. Aber die Verhältnisse unter Deck lassen es sinnvoll erscheinen, lieber 15 Minuten zu früh auf dem Autodeck zu sein als 15 Minuten zu spät - bereits kurz nach der Öffnung des Decks spielen sich bereits wieder die allzu bekannten Szenen ab - doch noch vor jeder nachfolgenden Fünfpersonenfamilie sitzen wir im Redaktionsfahrzeug und rollen wieder mal als eines der ersten Fahrzeuge von der Fähre ...

Eng wird die Ausfahrt, fast reißt der Explorer mit den neuen Kanisterhalter-Kisten, die wir uns diesmal im letzten Moment entschlossen haben, anstelle von Benzinkanistern zum Testen und zum Transport mitzunehmen, dem daneben geparkten Bus den Außenspiegel ab. Den gestressten Blicken der Fährencrew und deren Anweisungen folgend lassen wir zuerst den Bus rausfahren ...

Dann endlich tatsächlich Helsinki - eine Großstadt und die Hauptstadt Finnlands vor uns! Auf Schwedisch heißt sie Helsingfors, und sie liegt an der Nordküste des Finnischen Meerbusens - mit vielen vorgelagerten Inseln und Klippen, von denen wir aber nichts sehen werden: nix wie runter von der Fähre und weg.

Danach verläuft alles problemlos und man wagt es kaum zu glauben: zuerst die Hafenausfahrt, dann die nachfolgende hervorragende Beschilderung in Helsinki, das wir über die E75 Richtung Lahti verlassen wollen.

Welch wohltuender Unterschied zur abstrusen Verkehrssituation im englischen Newcastle upon Tyne, wo wir uns bei der Anfahrt zu Schottland 98 herumärgern mussten, und wo man nicht willens oder in der Lage ist, in seinem anachronistischen Verkehrswirrwarr für eine angemessene Beschilderung der wesentlichen Ziele zu sorgen (und damit auch Touris vom Festland wesentlich unterstützen könnte!) - aber lassen wir dieses Ärgernis!

Extrem breite Mittelstreifen sorgen für sofortige Entspannung, kaum dass man den Hafenbereich verlassen hat und sich auf der E75 wiederfindet - man ist ab sofort in dem Land der disziplinierten Autofahrer, in dem niemand auf die Idee käme (nur um 2 Minuten zu gewinnen), in schwachsinnigster Weise jede Autokolonne zu überholen - welche autofahrerische Vernunft hier zu spüren ist, kann man kaum beschreiben! Insbesondere dann nicht, wenn man aus Deutschland kommt, dem Land der scheinbar wahnsinnigen Möchtegern-Rennfahrer der linken Spur, die immer noch irgend etwas nachjagen und die immer noch nicht begriffen haben, dass ihr Sport längst zu Ende ist - weggestaut im Verkehr eines der verkehrsreichsten Länder Europas!

Allerdings kann auch Skandinavien durchaus die Spielwiese wahnsinniger Rallye-Fahrer sein, die z.B. in einer Woche zum Nordkap mit ihrem Motorrad rasen - abschreckendes Beispiel einer Fahrt, wie man sie unserer Meinung nach nicht machen sollte ...

Zurück zur hier und jetzt angenehmen Realität. Der Füllungsgrad der autobahnähnlichen E75: zunehmende Leere, die uns von nun an erhalten bleiben soll - wir sind sehr glücklich darüber!

Nach Nordosten, dann nach Norden und immer weiter in diese Richtung Norden geht es, vorbei an Lahti. Dieser Ort ist eine der größten Städte Finnlands und verdankt laut Baedekers seinen damaligen Aufschwung der verkehrsgünstigen Lage - in der Tat!

Neben der vorbildlichen Beschilderung überall auch extrem vorbildliche Fahrweise, die uns auf allen finnischen Strecken noch weiter auffallen wird: großes Lob an dieses Land, das wir in den nächsten Tagen als das Eldorado für Autofahrer kennen lernen sollen - welch ein wohltuender Unterschied nicht nur zu unseren Verkehrsverhältnissen, sondern erst recht auch zu unserer Tour vom Vorjahr!

Wir umfahren Lahti in Richtung zu einem Campingplatz am See, den wir als unser erstes Camp festgelegt haben.

Endlich: das erste Camp in Finnland ...Hinter Lahti geht es weiter auf der der E75, dann folgt vor Lusi ein Abzweig (N61°17.02564´ E026°04.26783´), der sich immer noch E75 in Richtung Norden nennt. Völlig entspannt beenden wir unsere gut 200 km lange Anfahrt am ersten Tag zu unserem ersten Camp, auch wenn diverse Suchereien mit Kompass und GPS vorausgehen - darf man ja eigentlich keinem erzählen! Aber dann - das beim Navigator heute bestehende Misstrauen gegenüber dem GPS legt sich endlich - unser erster Platz hinter Joutsa am See Suonte (Camp1, N61°47.75153´ E026°09.6359´) wird schließlich problemlos gefunden.

Sind wir bei der ersten Mückenzuchtanstalt angekommen? An einem wirklich einladenden Gewässer liegt malerisch die "Empfangshütte" des Platzes. Die erste freundliche Campingplatz-Betreiberin, die wir auf diesem Trip kennen lernen und die auf ein "Hello" sofort deutsch antwortet - man spricht deutsch - beendet anfängliche englische Versuche sofort.

"Heute nur wenige Mücken", versucht sie auf Nachfrage deutlich zu machen, sie, die an ihrem malerischen Empfangsplatz sitzt und tatsächlich nachfragt, ob man den Campingplatz erst sehen will - aber wir sehen nur die Einfahrt und die Umgebung und wissen, dass wir hier nichts überprüfen müssen - dieser Campingplatz ist gebucht!

"Hyttysiä" oder so ähnlich heißen sie auf finnisch, unsere eingeplanten Feinde, die weiblichen Mücken, die angeblich ab sofort überall auf uns warten werden und die wir auch noch auf schwedisch und norwegisch kennen lernen werden - wird schon was dran sein, an dem Gerücht!

Ein in der Tat traumhafter Campingplatz erwartet den zivilisationsmüden Reisenden hier - nur wenige Camper, ein Zelt mit Radfahrern und viel Natur, Wald und See - besser hätten wir unsere Erwartungen kaum beschreiben können, als wir sie hier antreffen. Wir haben genug Platz, um uns irgendwo (wo sonst?) einen beliebigen Stellplatz zu suchen (wie auch später halten uns die "wilden" Camper "draußen" jeden gebührenpflichtigen Campingplatz frei!).

Der Explorer wird an der Rückseite partiell gründlich gereinigt. Warum? Na, es müssen doch endlich die Pickerl der Silja Line und die Finnlandfahne  draufgeklebt werden, am ersten Camp in Finnland - Ehrensache!

Ein wirklich toller Platz beherbergt uns am ersten Abend - noch ohne Boot -, dafür ist aber "Strandsitzen" in der Sonne angesagt, bei 24-17° C im Verlaufe des Abends hat man die Gelegenheit, "Postkartenkitsch" pur zu erleben - wir haben die Stühle an den Strand getragen und erleben dort einen unwirklich schönen Sonnenuntergang - eigentlich zu "heavy" für den ersten Abend von gerade erst "Zugereisten" ...

Strandidylle mit Redakteur ...

Die Beschwörung der Wassergeister ... Postkarte??? Nein, Realität!

Heftige Gewitter in der Ferne sind aber bereits zu bemerken, sie werden uns die nächsten Tage noch andauernd verfolgen. Das nächstliegende Gewitter kommt aber nur langsam näher, so dass "Feuerstellensitzen" bis spät abends möglich ist - ein finnisches Pärchen mit Flasche prostet uns zu, das ebenfalls hier Platz genommen hat. Im Hintergrund ist ein gewisser Betrieb zur Sauna des Campingplatzes festzustellen - dieser finnischen Gewohnheit kann auch der dann bald einsetzende Regen nichts anhaben ...

Noch gab es wenige "Hyttysiä" - aber nun mit dem einsetzenden Regen werden sie deutlich zahlreicher, im Explorer-Umgangsdeutsch werden diese Mücken-Wesen künftig als "Hüttinnen" (oder Hütten-Wirtinnen?) bezeichnet, hatten wir es doch so oder ähnlich verstanden (nun ja, Finnisch als Weltsprache sollte tatsächlich durchgesetzt werden!). Sie  versammeln sich um uns, und wir ziehen uns zurück in Richtung Explorer-Plane. Das nun eingesetzte Autan (neu) reicht allerdings leicht aus, dieser ersten Anfechtung zu begegnen ...

In der Nacht kommen die entfernten Gewitter näher, im Explorer beginnt die echte "erste" Nacht der Tour - sie scheint zu halten, was sie versprach!


© 1999 J. de Haas