Zweiter Tag: Sonntag, 11. Mai

Die Nacht wurde erwartungsgemäß recht frisch: Gegen 6:00 Uhr am Morgen war das Kondenswasser an der Zeltinnenseite gefroren! Leider war der Himmel genau wie am Vortage diesig und so wurde es natürlich nichts mit in der Sonne aufwärmen. Ich war aber guter Hoffnung, dass sich das Wetter, wie schon gestern am Vormittag, wieder bessern würde. Ich machte mich, nachdem ich zuerst den Ofen angefeuert hatte, um mich aufzuwärmen und mir meinen Tee zu kochen, daran, ein anständiges Frühstück vorzubereiten. Wie man auf dem Foto erkennen kann, ist mit etwas Know-How sogar ein Toast in der Wildnis möglich ...

Auch Toasten kein Problem! Vor dem Aufbruch wird erst einmal richtig gefrühstückt!

Und das Wetter ließ mich erneut nicht im Stich: Um 8:30 Uhr war der Himmel schon fast wolkenlos und ich konnte problemlos meine Tipiplane trocknen und genüsslich in der Sonne frühstücken! So macht das Laune. Der Tag fing doch noch gut an.

Ich begann danach in aller Ruhe, meine Ausrüstung zu verstauen und gegen 11:00 Uhr machte ich mich wieder auf den Weg. Der "Nittälven" wurde jetzt in längeren Abschnitten breiter und floss überwiegend durch hochstämmigen Wald. Das Flussbett bestand jetzt aus feinstem Sand und die Sonnenstrahlen schienen bis auf den Grund des zwar dunkelbraunen, aber absolut klaren Wassers ...

Lichtspiele im Fluss ... Leben und Sterben liegen hier nahe beieinander, absolut unberührte Natur!

Ein lautes Rauschen kündigte die auf der Karte verzeichnete größte Schwallstrecke an. Ich landete kurz vorher an und besichtigte die Sache. Mit ein wenig mehr Wasser wäre es eigentlich überhaupt kein Problem gewesen: Es handelte sich um eine lang gezogene Stromschnelle, die auch noch in einer Rechtskurve auslief. Es waren geschätzte ca. 300 Meter, die aber gar nicht gut aussahen: Es war keine deutliche Fahrrinne auszumachen. Stein neben Stein, und wirklich wenig Platz dazwischen. Der um etwa 20 cm zu niedrige Wasserstand machte die an sich leichte Schnelle recht schwierig, besonders wenn man mit einem vollbeladenen Boot unterwegs war. Eine Alternative wäre etwa 200 Meter mühsames Umtragen allen Gepäcks und des Bootes durch den Wald gewesen, auf einem schmalen Fußpfad. Ich hätte natürlich auch nur mit dem leeren Boot fahren können. Aber ein Aluminium Canadier ist sowieso bei Stromschnellen die letzte Wahl: Nichts verkeilt sich so gut und rutscht so schlecht wie Alu auf Stein!

Na denn, mein Mut, oder besser wohl Übermut, war größer als meine Vernunft. Nur noch übertroffen von meiner Faulheit, die gesamten Tonnen und Säcke und das Boot zu tragen. Was sollte es: Alles war sicher im Canadier vertäut und ich bin in 20 Jahren noch nie gekentert. Einmal ist halt immer das erste Mal!

Ich prägte mir noch einmal die geplante Route ein und los ging es: Bis zur Hälfte der Schnelle ging alles gut. Die Wasserwucht zog mich, wenn auch unter lautem Ratschen und Klongern, über alle Passagen hinweg, wo es halt nicht so recht passen wollte. Also, geht doch, dachte ich noch, und schon war es passiert: Mitten in der Schnelle blieb ich mit dem Vorderschiff auf einem Stein hängen und nach einem bangen Moment mit ziemlicher Schräglage, wobei mir mir der halbe Fluss ins Boot rauschte, drehte es mir den Canadier unter dem Hintern herum.

Das Boot löste sich mit einem Ruck vom Stein und es zog mich rückwärts in den Rest der Schnelle und in die Kurve. Ein Canadier ist ja vorne wie hinten gleich geformt: Eigentlich also kein Problem - ja wenn man denn hinten Augen hätte!

Aber heute hielt mein Schutzengel wohl seine Hand unter meinen Kiel: Mit einigen Verrenkungen schaffte ich es tatsächlich, sogar mit weniger Anrempeln als vorher, rückwärts den Rest der Stromschnelle zu durchfahren. Als ich im Auslauf den Canadier wieder herum schwenkte, hatte ich aber genau soviel Adrenalin im Blut wie Wasser im Boot: Das reichte für den Rest der Woche. Und ich hatte meine Lektion gelernt: Solo und mit Gepäck nie wieder so eine Schnelle!

Der Fluss wird ruhiger - und ich auch ...Die nächste sich bietende Möglichkeit nutzte ich, um den Canadier trocken zu legen und auch selber in die, wie sich mal wieder gezeigt hatte, so wichtige "Kenterwäsche" zu schlüpfen. So warm war es leider nicht, dass man so patschnass hätte weiter fahren können.

Im weiteren Verlauf zog sich der Fluss immer noch in unzähligen Kurven und Schlingen durch den Wald, doch die noch folgenden Schwallstrecken waren zum Glück weniger dramatisch und so rutschte ich mit etwas Staken und Schieben über die flachen Stellen hinweg.

Allerdings war die letzte größere, bei "Kolbron", dann doch unpassierbar und ich war gezwungen, anzulanden und das Boot umzusetzen. Da ich aber meinen Kanuwagen benutzen konnte, war es eine willkommene Abwechslung und kleine Zwangspause.

Zwischendurch verlief der "Nittälven" auch streckenweise wieder durch mooriges Gelände, immer noch einsam und in herrlichster Natur. Dieser Fluss ist wirklich ein Geheimtipp! Als nach etwa 9 km der nächste Rastplatz in Sicht kam, musste ich leider feststellen, dass es für mich fast unmöglich war, dort anzulanden. Es war eh eine ziemlich miese Anlegestelle, direkt in der Strömung und an einer steilen Sandwand gelegen. Ein zweiter Mann / Frau im Boot könnte jetzt sichern und das Boot halten, wenn auch mit Schwierigkeiten. Ich versuchte es gar nicht erst, einmal beinahe gekentert war für heute genug!

Leider waren es bis zum nächsten Rast- und Übernachtungsplatz nochmals 9 km. So gab es leider keine Pause und ich paddelte weiter. Nach ein paar weiteren Kilometern schwächelte ich ein wenig  - es ist schon etwas anderes, alles alleine zu machen, oder sich in einem Tandem die Arbeiten zu teilen. Ich trank etwas Saft und aß einen Müsliriegel: Das geht ja schließlich auch auf dem Wasser.

Oft hatte der Nittälven die Ufer unterspült ...Selbst wenn ich es gewollt hätte, es gab zwischendurch kaum Möglichkeiten, anzulanden. Durch den niedrigen Wasserstand noch verschärft, floss der "Nittälven" nun in einem Bett mit fast durchgehend ca.1 bis 1,5 Meter hohen Sandwänden, die manchmal in den Kehren aber auch bis über 5 Meter Höhe erreichten.

Dort hatte der Fluss, der auch jetzt noch ständig an seinem Bett arbeitete, das Land soweit unterspült, dass ganze Hänge mitsamt den darauf stehenden Bäumen abgerutscht und ins Flussbett gefallen waren. Auch diese Baumleichen, die überall und in fast jeder Biegung im Fluss lagen, zwangen mich zur Aufmerksamkeit.

Es konnte sehr unangenehm werden, wenn einen die Strömung in, oder schlimmer noch, unter solch ein aststarrendes Hindernis zog oder drückte. Viele dieser Bäume waren schon durch Absägen der Äste entschärft worden, doch nach diesem langen Winter und dem letzten Schmelzhochwasser lagen wieder viele neu abgerutschte Bäume im Fluss ...

Die Landschaft änderte langsam ihr Aussehen: Der Fluss wurde deutlich breiter und die Strömung nahm weiter ab. Nun musste ich noch mehr schaufeln. Der Wald lichtete sich und bald paddelte ich auf einem breiten, in sanften Kurven mäandrierenden Wasserlauf, durch ein sich bis in die Ferne erstreckendes Sumpfgebiet bzw. einen völlig verschilften und verlandeten ehemaligen See.

Bis zum "Salbosjön", dem See hinter dessen Auslauf der letzte Rastplatz auf meiner Route "Nittbo" lag, waren es nur noch ca. 3 km. Die Sonne hatte den ganzen Tag durchgehalten und auf der nun schattenlosen Ebene kam ich tatsächlich ins Schwitzen. Der "Nittälven" mündete in den See und nach ein paar hundert Metern floss er auch schon wieder heraus. Noch einen Kilometer und ich konnte schon die große Holzhängebrücke sehen, an der auch der Rastplatz lag. Hier kreuzt ein Wanderweg, der "Bergslagsleden", über den Fluss.

Der Fluss mäandert durch den verlandenden See ... Anlegestelle am Rastplatz "Nittbo" ...

"Nittbo" lag auch recht ansprechend, mit Blick über eine weite Moorfläche, in lichtem Nadelwald, und ich war wirklich froh, endlich angekommen zu sein. Für heute hatte ich tatsächlich genug. Ich richtete mich direkt in der schnuckeligen Windschutzhütte ein. Der klare Himmel deutete auch wieder auf eine kalte Nacht hin, und da wollte ich lieber ein festes Dach über dem Kopf haben. Und wenn am nächsten Tag die Sonne wieder nicht so früh scheinen würde, gäbe es ein Problem, meine dann wieder patschnasse Zeltplane zu trocknen.

Hinter dem Windschutz von "Nittbo" ...An diesem Abend genoss ich den Luxus der festen drei Wände und nahm mir die Zeit, wieder eine leckere Pasta, Rigatoninudeln mit grüner Pesto, zu kochen. Noch einen Café au lait hinterher und dann machte ich mich an den Rest meiner Flasche Wein. Ich denke, heute hatte ich mir das besonders verdient!

Noch lange saß ich am Feuer und schrieb mein Reisetagebuch zu fast den gleichen Klängen aus der Natur wie am Vorabend. Es fehlte nur der Auerhahn, ersatzweise tönte dann aber vom See her das unheimliche Rufen der Prachttaucher. Und das war noch nicht alles. So gegen 22:00 Uhr konnte man von Ruhe hier wirklich nicht mehr sprechen: Aus dem Moor kamen viele Rufe von Birkhühnern und sehr laute Rufe eines Vogels, den ich nicht kannte. Dazu plötzlich noch Eulenschreie und was weiß ich noch alles. Das ist das reinste Naturkundemuseum hier! Und so war dieser Tag zwar deutlich anstrengender, aber schließlich doch genauso schön wie der vorherige geworden ...

Dritter Tag: Montag, 12. Mai

So, auch diese Nacht war überstanden: Es war windstill geblieben, aber auch wieder sehr kalt geworden. So um die 0°C werden es wohl wieder gewesen sein. Als ich um 6:30 Uhr aus meinem Schlafsack kroch, stand die Sonne schon recht hoch - leider aber hinter dem Windschutz. Wer erzählt eigentlich, dass man nur in Unterwäsche in den Schlafsack kriechen soll? Ich jedenfalls trug zwei Fleecepullis, eine Fleecehose und sogar noch eine Mütze - und habe nicht gefroren! Übrigens kam zum Abendkonzert des Vortages nun auch noch ein großer Brachvogel dazu, der auch früh am Morgen schon wieder seine Runden flog und unüberhörbar flötete. Es ist schon fantastisch, was man hier alles für Tiere sehen, leider aber oft nur hören kann!

Auch heute nahm ich mir Zeit. Bevor ich mit dem Einpacken und Verstauen im Boot anfing, frühstückte ich ausgiebig und genoss zum letzten Mal auf dieser Tour die Stille. Natürlich - das Gezwitscher, Getröte, Geflöte, Knarzen und Fiepen mal ausgenommen. Hier im Moor war wirklich was los! Als ich dann alles im Boot verstaut hatte, säuberte ich noch den Windschutz und legte auch wieder etwas Feuerholz bereit, ganz so, wie ich es auch vorgefunden hatte. Um 9:00 Uhr nahm ich dann die letzte Etappe in Angriff ...

Nur noch ein paar Sachen einladen und es geht nach "Hause" ...Der Fluss führte mich nun noch einmal etwa 1,5 km in großen Schleifen durchs Moor und dann mündete der "Nittälven", der jetzt kaum noch strömte, in den See "Ljusnaren". Und wie zu erwarten war, "der Wind kommt immer von vorn!" So natürlich auch hier. Noch etwas mehr als 5 km musste ich nun gegen den Wind anpaddeln, der lästige, in kurzen Intervallen schräg von links anlaufende, etwa 30 cm hohe Wellen produzierte. Leider lag mein Kurs so, dass ich die Wellen immer mehr oder weniger auch schräg anschneiden musste. Direkt in die Wellen zu fahren, wäre einfacher gewesen. So schaukelte ich mit kräftigen Paddelzügen in einem Rutsch die 5 km durch.

Der Wind und die Wellen ließen kein Aussetzen auch nur eines Paddelschlages zu: Es hätte mich sofort quer zu den Wellen gedreht und die Gefahr des Vollschlagens mit Wasser bzw. einer Kenterung nahe gebracht. Es gab leider keinen Inselschutz, der mir mal eine kleine Pause verschafft hätte.

Als ich noch etwa 500 Meter von meinem Ziel entfernt war, dem Badeplatz von "Stärnfors", konnte ich schon die markante Silhouette meines Wagens am Strand erkennen.

Ich hatte vor meinem Start am Morgen meinen Freund angerufen und meine geschätzte Ankunftszeit mitgeteilt. Und es passte. Er war kaum 10 Minuten vor mir angekommen und hatte mich schon noch weit draußen durch das Blinken meines Paddels bemerkt.

Kaum angelandet, dauerte es 15 Minuten und alles war wieder im Wagen verstaut, das Boot auf dem Dach befestigt und damit das Ende dieser wunderschönen Tour erreicht.

Mein Fazit? Dorthin komme ich auf jeden Fall noch einmal zurück, aber dann mit einem zweiten Mann / Frau im Boot, und bei besserem Wasserstand. Das Wetter hatte sich gehalten, bis auf den kleinen Schauer am Samstag schien die ganze Zeit die Sonne und was kann man sich sonst noch mehr wünschen ..?

Bis bald, Nittälven!


© 2003 Bernd van Ooy (Lodjur)


Nachtrag, Juli ´03: Leseranfrage

Unser Leser Michael Fleischer stellt eine Frage zur Wasserversorgung, die unser Autor anlässlich seines neuen Reiseberichtes direkt mit beantwortete:

Hallo Herr van Ooy,
ich habe mit Interesse Ihren Bericht über die Kanutour auf dem Svartälven gelesen.

Da ich in diesem Sommer mit Freunden ebenfalls auf dem Svartälven und den östlich gelegenen Seen paddeln will, habe ich mich bei verschiedenen Kanuverleihern und Fremdenverkehrsämtern über das Gebiet informiert. Nicht klären konnte ich die Frage, ob das Wasser des Svartälven und der angrenzenden Seen trinkbar ist. Während die Kanuverleiher dies mit Einschränkungen bejahten, riet ein Fremdenverkehrsbüro davon ab.

Wie sind Ihre Erfahrungen? Wir haben bisher Touren in Dalsland (nördlich von Bengtsfors) und nördlich von Arvika unternommen und dort ohne Probleme das Wasser aus den Seen getrunken. 
Ich würde mich freuen, wenn Sie uns weiterhelfen könnten, 

Michael Fleischer


Hallo Michael, 
ich halte es auch wie die Verleiher. Im Prinzip ist das Wasser trinkbar, ich habe bei dieser Tour sowohl aus dem Fluss als auch aus den Seen Wasser getrunken. Aber während ich das Flusswasser bedenkenlos auch unerhitzt oder anderswie behandelt getrunken habe, würde ich aus den Seen, zumindest wo mehrere Wochenendhäuser stehen, doch lieber nur damit kochen.

Ansonsten die alte Regel beherzigen, dass man nicht direkt am Rand schöpft, sondern in der Fluss - oder Seemitte. Ich trinke schon seit 20 Jahren Wasser aus schwedischen Gewässern und habe nie irgend welche Probleme bekommen. In der Nähe irgend welcher Gebäude würde ich aber immer darauf verzichten, Wasser so zu trinken. Zum Kochen kann man es aber immer benutzen.

CU Bernd