Mi 05.08.98: Vor bis Balblair am Cromarty Firth

Am heutigen Vormittag soll er nun stattfinden, der Besuch bei einer der bedeutendsten Whisky-Destillerien Schottlands. Nach unseren gestrigen vergeblichen Bemühungen wissen wir heute morgen sehr genau, wie wir die paar Meter durch Keith fahren müssen, um kurz darauf vor einem Tradition und Würde ausstrahlenden Gebäude zu stehen: dem "Home of Chivas Regal".

Strathisla: "At Home" bei Chivas Regal ...Nachdem wir einige (unerlaubte) Bilder von Bottichen der "letzten Brennstufe" genommen haben, werden wir freundlich zum Empfang der Destillery verwiesen, wo uns eine junge Dame ein Pauschalarrangement anbietet: Die "selbstgeführte" Tour durch die Brennerei mit einem "Handbuch" sowie einen Haus-Probetrunk, einen Kaffee und Kaufmöglichkeiten und und und ...

Selbstverständlich folgen wir kurz darauf mit unserem Handbuch einem interessanten Weg durch die Destillery, ein Mitarbeiter dort weist uns bereitwillig an den Rand eines der großen Bottiche: "Habt ihr euer Bier gestern genossen?" oder so ähnlich ist seine Frage - tatsächlich, er ist einer der Barbesucher aus unserem "Hauspub" vom Vorabend, der uns sofort wieder erkennt - auch und besonders hier ist die Welt klein!

Nachdem wir uns ins Gästebuch der Destillery eingetragen und einige Minuten in der exklusiven Salonatmosphäre im Besuchersessel gewartet haben, bekommen wir von der freundlichen Vorführdame sehr exklusiv den Unterschied verschiedenster Whisky-Sorten per Geruchssinn vorgeführt - beim Nippen halten wir uns zurück, schließlich muss heute Mittag bereits noch einiges gefahren werden, wie macht das eigentlich der geführte "Whisky-Trail" von ORC ...?

Wir entscheiden uns im exklusiven Laden für einen 15jährigen Whisky (das Zeug darf sich bereits ab 3 Jahren Whisky nennen!) namens "Longmorn" single malt (place of the holy man!), den man in keinem Laden kaufen kann und der zwar nicht in der Strathisla, aber in der Unternehmensgruppe hergestellt wird - eine gute Wahl!

Es folgt eine Führung durch die kühlen würzigen Lagerräume, wo auch bereits der "Millennium-Whisky" in freudiger Erwartung des Jahrs 2000 lagert und wie die anderen Fässer angenehm vor sich hin dünstet (Angeblich kann aufgrund dieser Ausdünstungen bereits aus dem Verputz des Raumes Whisky gewonnen werden, wenn man nur wollte - Scherz muss sein!). Wenig später verlassen wir die Destillery - ein wahrhaft lohnens- und empfehlenswertes Ziel! (Anm. der Red.: Mehr zum schottischen Whisky in einem Reisebericht von dort 25 Jahre (!) später!)

Die Brennerei ist schön von außen ... ... und spanned von innen ... The Home of Chivas Regal ...

Nur gering spürbar für den Fahrer ist der winzige Whisky-Trunk, als wir Keith auf der A96 Richtung Nordwesten verlassen - die Küste ist nicht mehr weit! Zuerst parallel zur Küste und dann wieder leicht südlich fahren wir bis Nairn auf dieser Hauptstraße mit üblichem Verkehr - irgendwann muss doch mal die gewünschte schottische Einsamkeit kommen, oder?!

Eine Nebenstraße hinter Nairn führt uns zum legendären Fort George (N57°34.98´ W004°03.87´), einer Festung, von der wir aus über die Bucht (den Moray Firth) hinweg genau gegenüber unseren nächsten Campingplatz bei Fortrose sehen wollen.

In der düsteren Riesenkaserne an dieser Bucht soll sich angabegemäß die schottische Geschichte von ihrer lebendigsten Seite zeigen. Die Festung gilt als "Europas schönstes noch erhaltenes Stück Militärarchitektur aus dem 18. Jahrhundert", "ein riesiges georgianisches Fort, das auf einer Landzunge in den Moray Firth hineinragt wie ein vor Anker gegangenes Schlachtschiff" (Viva Guide Schottland). Gebaut um 1745 nach dem Jakobitenaufstand sollte es sicherstellen, dass sich die Highlands nie wieder gegen England erheben.

Man muss die Festung und ihre Kasematten in der Tat gesehen haben, auch wenn es sich hier um ein stark frequentiertes Touristenzentrum handelt - zwischen den Besuchern marschieren selbst Kinder in Uniformen scheinbar zur Probe (vormilitärische Ausbildung oder Lehre?) in der vom Militär noch genutzten Kaserne. Fast hätte sich der Berichterstatter versucht gesehen, das Kommando über eine der herum laufenden Gruppen zu übernehmen - als alter Militärkopp hätte er das schon gekonnt, aber wie wäre die Wirkung auf die Briten gewesen?

Düsteres Ambiete: Fort George ... ... und seine Kanonen ...

Gegenüber der Festung, auf der anderen Seite der Bucht, kann man mit dem Fernglas tatsächlich den von uns angepeilten nächsten Campingplatz bei Fortrose betrachten - er wirkt interessant!

Nach Umrunden des Moray Firth schließlich an diesem Campingplatz angekommen, erwartet uns dort zwar kein Platzwart, dafür aber das inzwischen gut bekannte Schild: "Non members welcome!" Bedeutet: Kräftig draufzahlen für nichts. Wir fahren unverzüglich weiter.

Wie so oft ist auch hier eine Alternative in der Nähe, wo nicht abkassiert wird: Nachdem wir die A9160 entlang gefahren sind, erreichen wir den sehr versteckten Campingplatz von Balblair (N57°40.34´ W004°10.55´), den uns eine Einheimische zeigt, da wir ihn nicht direkt finden.

Wir treffen erneut auf die uns bereits bekannte, äußerst merkwürdige Kombination von großen "Schuhschachteln", die hier als Unterkunft von Dauercampern genutzt werden. Der ehemalige Besitzer des Campgrounds, bei dem wir (angeblich wie alle anderen auch) zunächst irrtümlich klingeln, verweist uns an die neue Statthalterin, nicht ohne uns seine Meinung zu unserem optimalen Standplatz mitgeteilt zu haben.

Weiß-grüne Schuhkartons unter sich ...

Wir richten uns letztlich weder nach seinen noch nach ihren Anweisungen, da wir sonst irgendwo schräg in der Gegend gehangen hätten, und stellen uns wie üblich nach unserer eigenen "Cockpit-Wasserwaage" am Rande des Geländes auf.

Gegenüber der Bucht von Balblair, dem Cromarty Firth, liegt erneut zum Greifen nah Invergordon, eine Werft- und Hafenstadt. Auch der Reiseführer weiß, dass sich in diesem Firth "die Bohrinseln wie auf einer Perlenschnur" aufreihen - und in der Tat, bei einem ersten Spaziergang hinunter an die Bucht sehen wir ein gigantisches Gebilde, eines der "sechs- oder mehrbeinigen Stahlungetüme aus Stahl und Rost", wie der Dumont-Reiseführer schreibt.

Was er nicht schreibt ist, dass es sich hier scheinbar auch um eines der wildesten Tieffluggebiete der englischen Luftwaffe handelt - diverse Abfangjäger oder Jagdbomber (wer kann das von hier unten schon unterscheiden?) kreischen infernalisch im Tiefflug über unsere Köpfe während des Spaziergangs.

Wir haben hier wieder einen "Hauspub" in unmittelbarer Nähe: Nur wenige Schritte vom Explorer entfernt erwartet uns eine überaus herzliche Schankstätte mit familiärer Atmosphäre. Die hier versammelten Barbesucher, die fast wie eine Gruppe von Verwandten wirken (auch die Frau, die uns den Campingplatz gezeigt hat, steht plötzlich im Raum), sprechen alle ein bisschen Deutsch, schließlich waren sie nach eigenen Angaben bereits in Rüdesheim oder auf dem Oktoberfest oder sonst wo! Dass wir hier vor die Wahl "englisches Bier oder schottisches Bier"? gestellt werden, wundert uns nicht, auch nicht das schallende Gelächter nach unserer selbstverständlichen Entscheidung für "schottisches Bier".

Dass die Luftwaffe hier herum kreischt ist normal, wie uns mitgeteilt wird, und auch die Tiefflüge finden mehrfach täglich statt. Man meint, dass hier schließlich nur zu wenige Menschen leben, um ernst genommen zu werden.

Schon bei unserem Spaziergang war uns die gewaltige Geräuschkulisse aufgefallen, die von der Ölplattform in Invergordon bis über den Cromarty Firth zu uns rüber schallte, der Lärm wird später nicht geringer. Obwohl wir bestimmt einen Kilometer vom Ufer der Bucht entfernt sind, verstärkt sich im Laufe des späteren Abends der Lärm noch - schließlich entsteht ein derart tiefes Dröhnen in den unteren Frequenzbereichen, dass der Explorer mitzuschwingen scheint - gespenstisch!

Was tagsüber noch normal wirkt ... ... wird nachts zum Ungeheuer: Eine Plattform sticht in See ...

Getrieben von dieser unheimlichen Lärmkulisse entsteigt der Berichterstatter in tiefer Nacht wieder dem Explorer und stapft im Schein seiner Maglite erneut runter bis an den Rand der Bucht - ein atemberaubender Anblick bietet sich gegenüber! Hell erleuchtet von Hunderten von Scheinwerfern, umrahmt von diversen Schleppern, angereichert von Kommandofetzen, die mittels Megaphonen über die nächtliche Bucht herüber schallen, scheint sich dort gewaltiges zu tun. Und richtig! Heute, und gerade heute bei unserem Besuch hier ist die Nacht der Nächte für die riesige Ölplattform gegenüber gekommen: Auch einige Einheimische auf dieser Seite der Bucht verfolgen aus einem Pkw mit laufendem Motor das Schauspiel - heute Nacht wird die Plattform in die Nordsee hinaus gezogen!

Die ungeheuer dichte Atmosphäre an dieser Bucht und die scheinbar zentimeterweise herausgeschleppte Plattform kann niemand fotografieren, schon gar nicht aus freier Hand - das Schauspiel zieht sich hin und der Berichterstatter bleibt gebannt hier stehen. Erst Stunden später geht es wieder zurück im Schein der Maglite - die Plattform muss bei dieser Fahrt am nächsten Morgen doch noch am Horizont zu sehen sein, oder?


© Text/Bilder 1998-2002 J. de Haas