Richtung Stockholm ...

Wir wollen nicht direkt bis Stockholm fahren, sondern uns auch diesmal wieder genug Zeit lassen: In zwei Etappen wollen wir die Fähre erreichen. Die erste Etappe mit knapp 300 km vom Glaskogen aus soll bis Västerås führen, danach sollen noch einmal rund 100 km folgen bis zum Stockholmer Vorort Sollentuna.

Wir verlassen das wieder wirklich einladende Gebiet um den Glaskogen Richtung Südosten - eine bequeme Fahrt auf "normaler" Straße erleichtert das Vorankommen im Vergleich zur Anfahrt erheblich, so dass wir schon bald Västerås erreichen.

Die Enttäuschung ist groß, als wir uns dem Mälarcamping Johannisbergsvägen nähern: Ein nicht wirklich schöner Ort mit Industriegebiet, das Camp selbst mit dem Charme einer stadtnahen Kleingartensiedlung. Trotz Minigolfanlage vor der Einfahrt Blick auf stadtnahe Schornsteine: Kein Platz für uns, wir gehen nicht mal bis zum See vor, an dem man angeblich stehen können soll, was aber nicht wirklich der Fall ist. Die spontane Entscheidung: Weiter Richtung Stockholm, vielleicht findet sich ja etwas schöneres unterwegs.

Die nächsten 100 km folgen, aber wirklich schöneres ist weit und breit nicht zu sehen, was zum Verweilen einladen könnte auf dem Weg Richtung Hauptstadt. So erreichen wir schließlich schon einen Tag früher als geplant Edsberg / Sollentuna - bis heute wissen wir nicht, ob dieser Umstand letztendlich der Schlüssel für unsere noch folgenden Irrfahrten werden soll ...

Roadbook-Planung: 300 km zum Västerås-Flop ... Und nochmal Planung: Weiter Richtung Stockholm ... ... und zum Sollentuna-Flop: Stellplatz in der Arbeitersiedlung
Sowas muss man mögen: Camp Sollentuna ... Fenster auf, Heizung an, aber bitte kein Warmwasser-Missbrauch!

Auch dieses Camp enttäuscht vollkommen: Schon deutlich sichtbar im Stockholmer Einzugsbereich kommt hier auch nicht der Hauch von etwas wie "Naturcamping" auf, vielmehr handelt es sich eher um einen Stellplatz für naturbefreite Dauercamper sowie Arbeiter, die in Wohnwagen außerhalb ihrer Arbeitsstelle in Stockholm billig auf einem Campingplatz übernachten wollen.

Wir fahren auf den oberen Teil des Platzes und stellen uns mitten in eine solche Übernachtungskolonne: Was soll man sonst hier auch machen? Dafür gibt´s aber auf der Herrentoilette schon Heizung, direkt über dem offenen Fenster, allerdings soll man hier warmes Wasser sparen ...

Die nächste Entscheidung naht: Ebenfalls einen Tag früher als geplant wollen wir versuchen, bereits morgen auf die Fähre zu den Åland Inseln zu kommen, ganz nach der Devise: Bloß weg von hier!

Da der Platz zumindest in Rezeptionsnähe über WLAN verfügt, gelingen die nötigen Recherchen und auch die Umbuchung der Fährüberfahrt ist erfolgreich: Bereits am morgigen Donnerstag, den 14. August, soll unsere neue Fähre, die nun M/S SYMPHONY heißt, um 17:00 Uhr im Stockholmer Hafen ablegen und uns zu den Ålands bringen - die eine Nacht werden wir hier auch noch rumkriegen, auch wenn weit und breit nichts von einer Infrastruktur erkennbar ist, die so einen Abschiedsabend von Schweden verschönern könnte ...

Wer sich den Abschied von Schweden dann endgültig leicht machen will, muss nur am Nachmittag von Sollentuna aus zum Stockholmer Hafen fahren: Unwillkürlich denkt man dabei an die vielen hochverschuldeten Schweden, die sich in dieser Stadt Wohneigentum kaufen müssen, weil Mietwohnungen kaum zu haben sind. Stadtverkehr, hässliche Gebäude ohne Zahl, Gasometer-Feeling, je näher man dem Hafen kommt, komischerweise ein restlicher Abschnitt, der den Gesamtverkehr durch wohngebietsähnliche Tempo 30-Zonen führt, die wiederum von einem Gasometer nach dem anderen gesäumt werden: Als man nach kurzer Irrfahrt schließlich auf dem Riesenparkplatz steht, von wo aus wir auf die Fähre wollen, kommt einem alles in den Sinn, nur kein Abschiedsschmerz ...

Anfahrt zum Hafen Stockholm: Schön ist anders ... Genauso trostlos: Parkplatz und Warten auf die Fähre ...
Mit der SEA WIND fahren wir jedenfalls nicht ... Immerhin: Nette Gesellschaft gibt´s auf dem Parkplatz ...

Da hier in Schweden immer noch keine "richtige" Euro-Tour möglich ist und "Euro-Extratouren" schon gemacht sind, haben wir diesmal den Ehrgeiz, ohne eine einzige Krone in bar durchzukommen. Am Glaskogen hat das dank der Kreditkarte auch bei kleineren Beträgen schon funktioniert, aber diesmal wird es eng: Der Supermarkt am ungastlichen Riesenparkplatz verfügt nur über eine von allen möglichen Gestalten umlagerte gebührenpflichtige Kabinentoilette mit Münzeinwurf, also muss man sich irgendwie anders behelfen, da sich der Gebrauch der bordeigenen Porta Potti für solch kleine Geschäfte natürlich verbietet ...

Das nächste "Kreuzfahrtschiff mit Autodeck"

Die Anlegestelle der M/S SYMPHONY ist nicht weit vom Parkplatz hinter der Häuserecke zu erreichen: Dort liegt sie direkt neben der VICTORIA I, die nach Tallinn auslaufen wird. Die SYMPHONY wird um 17:00 Uhr eine Dreiviertelstunde vor der VICTORIA ablegen Richtung Helsinki mit Zwischenstop auf den Åland Inseln. Dort soll sie uns gegen 23:45 Uhr in Mariehamn auf der Hauptinsel absetzen, womit uns eine lange Nacht erwartet. Aus diesem Grund haben wir natürlich keine Kabine gebucht, sondern wollen uns die Zeit bis zu den Inseln anderweitig an Bord vertreiben.

Nachdem endlich der Check-In geöffnet ist, rollen wir die wenigen Meter rüber zur Abfertigung: Unsere Reiseunterlagen mit Ziel Åland Inseln werden geprüft und bearbeitet, wir bekommen ein Schild mit HEL ausgehändigt und eine Einfahrspur zugewiesen, wo wir ziemlich alleine recht weit vorne stehen: So war es auch zu erwarten, denn nicht allzu viele Passagiere würden wohl die Fähre auf den Ålands verlassen, bevor sich diese nach nur 10 Minuten Aufenthalt dort sofort wieder weiter auf den Weg Richtung Helsinki aufmacht.

Insofern fällt uns zwar das Schild mit HEL auf, aber wir werden auch nicht misstrauisch, da dieses Schiff direkt neben einer Fähre nach Tallinn liegt und wir schließlich nach Einweisung auf der Fähre bereits an dritter Position direkt vor der Bugklappe stehen - so und nicht anders war es zu erwarten!

Die Erkundung der SYMPHONY, die zur Silja Line gehört, verschafft uns den Eindruck eines sympathischen Schiffes: Bereits seit 1991 im Einsatz zwischen Stockholm und Helsinki, war sie zu Beginn ihrer Dienstzeit gemeinsam mit ihrem  Schwesterschiff SERENADE, das wir im Verlaufe unserer Tour auch noch kennenlernen werden, die größte "Kreuzfahrtfähre" der Welt mitsamt der ersten Promenade auf der ganzen Schiffslänge. Klar ist nun schlagartig, was die Vorbilder für Schiffe wie die COLOR MAGIC oder die COLOR FANTASY waren und uns gefällt die SYMPHONY mindestens genau so gut!

Nach einem guten Abendessen mit gutem Wein finden wir eine angenehme Atmosphäre an Bord vor, von einem herablassenden Pizzeria HO-Charme wie zuvor auf der norwegischen MAGIC ist hier nichts zu spüren. Auch das Unterhaltungsangebot kann sich sehen lassen und schnell verfestigt sich der Eindruck, tatsächlich wieder auf einer Art "Kreuzfahrtschiff mit Autodeck" zu sein ...

Seite an Seite: VICTORIA I nach Tallinn und SYMPHONY nach Helsinki ... An die werden wir uns noch erinnern: Pechschwarze Rauchwolken aus dem Kamin der SYMPHONY ...

Was wir übrigens erst später nach einem Fernsehbeitrag feststellen: Die M/S SYMPHONY war auch diejenige Fähre, auf der einst Überlebende einer historischen Schiffkatastrophe per Hubschrauber abgesetzt wurden. Man schrieb das Jahr 1994, als die RoRo Ostseefähre ESTONIA auf ihrer Fahrt von Tallinn nach Stockholm unter bis heute ungeklärten Umständen sank und mit über 850 Toten zum schwersten Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte führte - nach wie vor ranken sich um diese Katastrophe die verschiedensten Verschwörungstheorien ...

Dass wir nun ausgerechnet auf diesem bemerkenswerten Schiff gelandet sind, erscheint nach der unerklärlichen Rückwärtsfahrt der COLOR MAGIC bereits schon wie eine zweite Fähren-Merkwürdigkeit während der gerade erst begonnenen Reise - und es soll nicht die letzte bleiben!

Wieder stehen wir mit dem "Ablegebier" in der Hand an der Reling und haben gerade auffällig schwarze Rauchwolken beobachtet, die den Kamin unserer Fähre verlassen, als wir schließlich in Stockholm ablegen. Die nächste, bereits vorher von weitem erspähte Schiffsattraktion ist schon in Sicht, während wir gerade erst unseren Anlagekai verlassen haben: Mit langsamer Fahrt passieren wir die QUEEN VICTORIA, das berühmte Kreuzfahrtschiff der Cunard Line, das ebenfalls gerade in Stockholm angelegt hat. Ein echter Zufall, dass wir ausgerechnet dieses Schiff hier antreffen, das wir bereits anlässlich unserer Reise auf der AIDAmar erwähnt hatten im direkten Vergleich zur QUEEN ELIZABETH 2 bei einer gemeinsamen Atlantiküberquerung. Nun, hier im Hafen von Stockholm macht sie sich sicherlich besser als im seinerzeit heftigen Seegang des Atlantiks ...

QUEEN VICTORIA: Im Hafen beeindruckend ... Die GALAXY im Gegenverkehr ... Im Schärengarten Anhaltende Dämmerung auf See ...
Anfang der 90er noch das größte `Kreuzfahrtschiff mit Autodeck´der Welt ... Für Unterhaltung ist gesorgt ... ... in angenehmer Bordatmosphäre ...

Nur kurze Zeit später passieren wir die auffällig blau bemalte M/S GALAXY, die ebenfalls zur Silja Line gehört, noch etwas länger ist als die SYMPHONY und sich auch gerade auf dem Weg in den Stockholmer Hafen befindet - schnell wird die beeindruckende Fähre kleiner, als wir Stockholm Richtung Nordosten verlassen ...

Schon bald sind wir auf gemächlicher Fahrt durch die vorgelagerten Schären, die gern auch als "Schärengarten" bezeichnet werden. Eine Unmenge von Inseln, Buchten, Ferienhäusern, Kurzstreckenfähren und ähnlichem gleitet langsam vorbei, während die anhaltende Dämmerung hereinbricht.

Unsere lange Nacht hat begonnen: Bei unserer Ankunft in Mariehamn kurz vor Mitternacht werden wir nur wenige Minuten Zeit haben, die Fähre zu verlassen, offenbar muss dort alles perfekt organisiert sein, um in rund 10 Minuten die problemlose Aus- und Einfahrt aller Fahrzeuge zu gewährleisten, aber die werden schon wissen, was sie tun, oder ..!?


© 2015 J. de Haas