1. September ...

Wir fahren weiter Richtung Südost. In Warta ist wieder einmal Einkaufen angesagt: Scheiben von einem Schweinenacken soll es heute geben. Die Verkäuferin schüttelt daraufhin den Kopf uns hält sich die Nase zu. Ein untrügliches Zeichen, dass das Fleisch wohl nicht mehr ganz frisch ist. Das ist doch unglaublich nett, denn in wie vielen Läden hätte man so einer offensichtlichen Laufkundschaft wie uns das alte Fleisch angedreht. Stattdessen gibt es eine frisch ausgelöste Schweinshaxe, die am Abend wirklich ganz hervorragend schmeckt. Wieder fällt auf, dass es keinerlei Dauerwurst wie Salami, Cervelat oder ähnliches gibt, dafür aber unzählige Kochwurst- und Schinkensorten. Auch die Auswahl an Fleischsorten ist beschränkt auf Huhn und Schwein - Rind, Lamm oder Kalb scheint es nur selten zu geben.

Nach fast 400 km ist Suchedniów erreicht: Am Sportzentrum gibt es einen (natürlich!) videoüberwachten Campingplatz, den wir uns mit einem österreichischen Womo und zwei polnischen Wohnwagen teilen. Das Sportzentrum ist heute gut besucht, zahlreiche junge Polen rudern, treiben Leichtathletik und machen Ballspiele ...

Am Wasser gelegen - der Platz von Suchedniów

Wir kommen offenbar zur rechten Zeit auf dem Platz an: Ein Mann hat sich auf der Toilette eingeschlossen und kann sich nicht mehr befreien. Hilfesuchend ruft er irgend etwas aus seinem unfreiwilligen Aufenthaltsort heraus. Ein spontaner Versuch, die Schraube am Türschloss mit dem Schraubenzieher vom Schweizer Messer zu öffnen, wird schnell abgebrochen: Das wohl sperrige Kunststoffteil würde dabei lediglich zermust, ohne dem Mann wirklich zu helfen. Doch Trost spenden kann man: Die Rezeption wird informiert.

Die Dame dort glaubt nun jedoch, wir hätten ein Problem, das Waschhaus aufzuschließen und der alarmierte Platzwart kann dies überhaupt nicht verstehen. Es gelingt uns schließlich, auf das menschliche Schicksal im Waschraum aufmerksam zu machen, wo der Unglückliche immer noch eingeschlossen ist. Der Platzwart schreitet zur Problemlösung und beginnt zunächst mit Schraubenzieher und "normalem" Hammer. Auf der Terrasse der Platzbar können wir bei einem Bier akustisch verfolgen, wie die Rettungsaktion ihren Verlauf nimmt. Die Geräuschkulisse steigert sich stetig und endet schließlich mit unglaublichem Gehämmere. Daraufhin kommt der Platzwart wieder heraus und holt eine Flex. Es wird geflext. Dann holt der Platzwart einen weiteren Gummihammer, einen Stechbeitel und einen großen Vorschlaghammer. Unseren Vorschlag, es mit Dynamit zu versuchen, quittiert er mit Lachen, während er wieder im Waschhaus verschwindet. Erneut folgen Flexgeräusche und endloses Gehämmere. Eine Toilette offenbar wie ein Tresor! Nach endloser Wartezeit ist der Gast befreit: Der Platzwart kommt mit der Tür geschultert aus dem Waschraum und sagt uns: "Kaputt". Das ist nun offensichtlich  ...

Videoüberwacht! Die Reste der Rettungsaktion ...

Nach dieser ganzen Aktion muss man Appetit auf einen Wodka haben, was den Schankkellner vor Probleme stellt. In heißer Diskussion mit der Dame von der Rezeption beschließt man, aus dem offensichtlichen privaten Vorrat Wodkas auszuschenken, noch länger wird für die Preisfindung diskutiert, aber bald ist ein fairer Preis gefunden. 

In der Platzbar feiern bis spät in der Nacht viele junge Leute, es ist der Vorabend zum 01. September, einem für das Land sehr bedeutenden Feiertag. Bereits traditionell wichtig, gilt dies heute erst recht: Es ist der 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs durch den Beschuss der Westerplatte und des dortigen polnischen Munitionslagers bei Danzig durch das deutsche Linienschiff Schleswig Holstein am 01.09.1939 - wer hätte vorher bedacht, dass wir ausgerechnet an einem derart wichtigen Gedenktag gerade heute in Polen sind!

Trotz Wodka, die Nacht wird unruhig: Zum einen gibt es die nervigen "Bellketten" natürlich auch hier zur Genüge, zum anderen verläuft nicht weit vom Camp entfernt eine auch nachts viel befahrene Bahnstrecke.

Mit wenig Schlaf nehmen wir am nächsten Morgen schließlich Kurs auf in Richtung Duklapass. Heute ist der 1. September und damit hoher Feiertag in Polen. Später werden wir lesen, dass sich an diesem heißen Tag die Staats- und Regierungschefs aus zwei Dutzend europäischen Ländern bei Danzig versammeln. Darunter auch Angela Merkel und der russische Premierminister Wladimir Putin, von denen die polnische Presse bereits seit Tagen verlangt, dass sie sich im Namen ihrer Länder für den Krieg entschuldigen. Das polnische Magazin Wprost macht dabei besonders von sich reden, weil es auf seiner Titelseite das bekannte Foto von der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes bringt, bei dem anstelle der damaligen Außenminister Ribbentrop und Molotow die Bilder von Merkel und Putin montiert sind - deutliche Belege für die Geisteshaltung mancher hierzulande ...

Überall sind heute die traditionell schwarzweiß gekleideten Schüler zu sehen, die Mädchen mit weißen Blusen und die Jungen mit weißen Hemden. Zusätzlich herrscht überall eine unglaubliche Polizeipräsenz, verglichen mit den Tagen zuvor. Auf ca. 100 km sind mindestens 8 Stellen mit Polizeikontrollen zu sehen. Da fahren die Polen dann auch vorschriftsmäßig vorbei, aber noch in Sichtweite der Ordnungshüter drücken sie bereits wieder aufs Gaspedal, um weiter dem täglichen Straßenwahnsinn zu frönen. Kontrollen erscheinen einfach sinnlos, die Zahl der  Kreuze an den Straßenrändern wird sicherlich auf diese Art und Weise weiter von Jahr zu Jahr zunehmen ... 

Verkehr in Polen: extrem gewöhnungsbedürftig ... Baustellen, LKWs, Traktoren, kein Grund zum Bremsen ...

Bei Kielce befindet sich eine riesige Autobahnbaustelle: An mehrspurigen Stellen gibt es Ausfahrten nach links und Einfahrten, die die Spuren kreuzen - auch hier kann man natürlich abenteuerliche Verkehrssituationen beobachten. Wieder geht es später vorbei an unzähligen neu erbauten Einfamilienhäusern, die hier in den absonderlichsten Farben gestrichen sind.

Neben den zahlreichen neuen Häusern gibt es auch viele neu erbaute Kirchen zu sehen: Während wir eher zu viele Kirchen haben, scheint hier im katholischen Polen ein Nachholbedarf zu bestehen. Die frommen Polen pflegen einen intensiven Marienkult: Es gibt kaum eine Ansammlung von Häusern ohne Marienskulptur, reich geschmückt mit Bändern und Kunstblumen. Ach, wenn man diese Sorgfalt auch allen Waldrändern und Parkplätzen angedeihen ließe - um wie vieles schöner könnte hier die Landschaft sein ..!

Marienkult an jeder Straßenecke ...

Am Nachmittag machen wir in Tylawa Halt auf dem Campingplatz Drymak. Noch rund 9 km vor dem Duklapass und unserem Grenzübergang in die Slowakei entfernt wollen wir einen letzten polnischen Abend verbringen. Auch dieser Platz ist einsam, nur ein französisches Womo mit einem freundlichen Einzelreisenden leistet uns Gesellschaft. Der Platz ist einfach, aber mit viel Liebe ausgestattet: Es gibt hübsche Sitzplätze und Feuerstellen, mit Blumenkästen ist das Gelände dekoriert.

In herrlicher Waldlandschaft kann man hier Pilze und Beeren sammeln, auf die Berge der Tatra wandern, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen oder Reiseberichte schreiben. Der Platzwart bietet Bienenhonig an und ist sichtlich enttäuscht, dass wir nicht einmal Strom und auch kein warmes Wasser benötigen.

Beim Streifen durch die Wälder kann man beeindruckende Trecker sehen, die hier für die Waldarbeit verwendet werden - ein solches Monstrum wird ganz in der Nähe von der Mannschaft sorgfältig "versteckt" für die Arbeit am nächsten Tag.

Im nahen Motel kann man sich an bester polnischer Küche laben: Besonders zu empfehlen sind die so genannten selbstgemachten Makkaronis, die sich als kleine fluffige Klößchen erweisen, ähnlich Gnocchis, wobei jedes Klößchen eine kleine Delle hat, in die flüssige Butter gefüllt wurde. Auch die Rote Bete Suppe mit kleinen fleischgefüllten Teigtaschen oder die deftige Erbsensuppe schmecken hervorragend, alles ist beste Hausmannkost.

Polen zeigt sich am letzten Abend wirklich noch einmal von seiner besten Seite ...

Hier lässt sich gut sein ... Eindrucksvolle Trecker im Einsatz ...

Polen zeigt sich noch mal von seiner schönen Seite ...

 

 © 2009-2010  Text/Bilder Sixta Zerlauth