11. Tag

Marrakech - wo soll man anfangen, wo aufhören? Was erwarten wir auf dieser Reise von einer Stadt, die sich für einen dreitägigen Städtetrip lohnen würde? Wir können maximal diesen heutigen Tag dafür abzweigen, abends auf dem CP in Marrakechs Norden übernachten und morgen weiterfahren. Andererseits kennen wir die Stadt schon von einer früheren Reise, als wir noch ohne Kinder unterwegs waren - mit Hinblick auf die heutige familiäre Konstellation dürfte sich ein Besuch der Souks als eher nervend gestalten. Beim Kurzfrühstück - so erbaulich ist der Parkplatz der Bergerie nun doch nicht - werden wir uns mit der Tagesplanung jedenfalls noch nicht einig, und fahren daher erstmal los.

Ständiger Blick auf die schneebedeckte Bergkulisse ...Im Gegensatz zu gestern knallt auch wieder die Sonne, und hier im Gebirge zeichnet sie besonders scharfe Konturen und satte Farben: Das junge Grün der Laubbäume strahlt im Gegenlicht, das Wasser der Rinnsale und Flüsse glitzert silbern, und die unwahrscheinlich rote Erde setzt dem Ganzen die Krone auf. Ein Klasse-Morgen! Vergessen sind die Sitzschwielen von gestern, es macht schon wieder Laune, durch diese herrliche Landschaft zu fahren. Auf der Kreuzung vor Asni biege ich rechts ins Tal nach Imlil ein - mehr ein Geistesblitz als geplant, denn ich ahne, dass diese frisch-luftige Bergszenerie hinter Asni viel zu schnell ein Ende nehmen wird. Marrakech kann warten, zumal wir uns über den Umfang des Besuchs immer noch nicht schlüssig sind.

Es entpuppt sich als wunderschöne Fahrt das Tal hinauf, mit ständigem Blick voraus auf die schneebedeckte Bergkulisse des Djebel Toubkal. Mit über 4.100 Metern über NN ist er Marokkos höchster Gipfel, und Bergsteiger sowie Wanderer aus aller Welt tummeln sich hier im Tal, um Exkursionen im Nationalpark zu unternehmen. Dieses Berggebiet ist an Gewaltigkeit kaum zu überbieten, und es ist garantiert ein ganz besonderes Urlaubserlebnis, hier mal einen mehrtägigen Aufstieg zu wagen. Wer weiß, vielleicht später im Leben mal ..?!

In Imlil ist die Hölle los: Eselreiten auf kleinen "Toürchen" ist angesagt, Busladungen von Touris werden herangekarrt, die Händler machen gute Geschäfte mit den Muttis aus Agadir und Marrakech, die die Armreifen und Halsketten schneller umhaben als sie ausgestiegen sind. Wir feilschen hier lieber um einige Fossilien-Paare, werden nach eher kurzem als langwierigem Palaver einig und erfahren nebenbei, dass die Händler hier alles eintauschen: Kleidung, Fahrräder, Sonnenbrillen - die würden mir sogar den Rucksack inklusive Kekskrümel und anderen Wohlstandssedimenten von der Schulter holen. Da könnte ich doch meinen Standardspruch von Immouzer anwenden: "Excusez-moi, der Wirt vom Le Miel hat schon alles ..!"

Trotz allem Trubel: Hier passt er hin, und es ist herrlich, im Gartencafé oberhalb des Flusses beim Petit Déjeuner das Treiben zu beobachten und sich die frische Morgenbrise um die Nase wehen zu lassen. Zwei Stunden Zeit in einer Welt, die so ganz anders ist als unten in der Ebene von Marrakech. Wandelbares Marokko ...

Unzählige Pferdekutschen ...

In Marrakech werden wir erst einmal von mordsmäßigem Verkehr empfangen, aber das ist wohl der Normalfall. Trotzdem schwimmt es sich hier im Gewühl leichter mit als beispielsweise in Rom oder Paris, da wird doch wesentlich mehr mit dem Ellenbogen gearbeitet. Oder es liegt daran, dass man nicht das Gefühl hat, zu den Schwächsten zu gehören, denn unzählige Pferdekutschen klappern neben LKW´s (schwarze Abgase) und Motorrädern (kein Schalldämpfer) über den Asphalt. Ob es den Gäulen gefällt, am Auspuff des Vordermannes zu lutschen, kann man bezweifeln, aber das Abfallprodukt zumindest wird im platziert hängenden Stoffsack aufgefangen - die steigende Zahl der Pferdekutschen und Eselsfuhrwerke und die damit einhergehende Menge der Tretminen wurde wohl unzumutbar.

Nahe der Kutubiya-Moschee - mittlerweile wieder in alter Pracht ohne Baugerüst zu bewundern - checken wir auf einem 24/24h-Parkplatz ein, der sich als Hinterhof-Umschlagplatz für allerlei Waren und Zeugs entpuppt. Dubiose Gestalten mit flinken Händen und gesenktem Blick laufen hier herum, und ich bin mir nicht sicher, welche Dinge hier vom LKW fallen und in welchen dunklen Kanälen sie verschwinden. Die Grenze der Legalität ist hier im Hinterhof förmlich zu spüren, und für einen flüchtigen Moment überlege ich, ob es wirklich eine gute Idee war, hier reinzufahren. Aber mein Bauchgefühl sagt mir: "Luke, vertraue der Macht. Vertraue auf eine gewisse Anständigkeit inmitten aller Unanständigkeit!"

Na dann. Wie beim Zauberwürfel müssen immer einige Autos und Kleinlaster verschoben werden, damit die entsprechende Lücke frei wird. Eine merkwürdige Praxis, aber es funktioniert, weil die meisten Autos nicht abgeschlossen sind (warum auch, den Schrott klaut keiner) und so jeder die Rangierarbeit übernehmen kann. Auf diese Weise bekommen wir sogar einen Schattenplatz, sind aber bereits beim Losgehen wieder hoffnungslos zugestellt und verkeilt. Mal sehen, was passiert, wenn wir wieder starten wollen!

Wir verbringen dann einige Stunden rund um den Djamâa el-Fna, weil wir uns hier in der Kürze der Zeit am konzentriertesten auf den Trubel einlassen können und mit zwei zeternden Kiddies im Schlepptau nicht lange herumlaufen müssen. Obwohl wir den Platz mit seinen angrenzenden Souks und den unzähligen Cafés mit ihren Dachterrassen schon erlebt haben, ist die Geräuschkulisse und das Menschengewimmel immer wieder ein Schauspiel ...

Rund um den Djamâa el-Fna ... Geräuschkulisse und Menschengewimmel immer wieder ein Schauspiel ...

Unsere Kinder gucken auch entsprechend ängstlich aus der Wäsche: Plötzlich hat der Sohnemann eine Plastikschlange am Hals - sehr originell - und das Töchterchen erschrickt mächtig, weil ihr der finster dreinblickende Wasserverkäufer voll in´s Ohr bimmelt. Wir versuchen derweil, alles zusammen zu halten und darauf zu achten, nicht unversehens in eine der aufgestellten Tourifallen zu tappen - das beste Beispiel ist immer noch dieser schmuddelige Wasserverkäufer, den man nur scharf ansehen muss, und schon kostet´s Geld.

Platz der Gaukler, Scharlatane und Glücksspieler - ein großer, exotischer Jahrmarkt mit einzigartigem orientalischen Flair. Und wenn es nur das ist, was man von Marrakech sieht, dafür wird es sich gelohnt haben, vor allem, wenn man es einrichten kann, abends zur Dämmerung in einem Restaurant auf der Terrasse zu sitzen und die rosarote Stimmung zu genießen - das Bild mit den Apfelsinenverkäufern, den rauchenden Kebabgrills, den trötenden Schlangenbeschwörern und dem betenden Muezzin aus dem Lautsprecher der Kutubiya-Moschee, die mit dunkler Silhouette in den Nachthimmel sticht - das wird sich bis zur nächsten Marokkoreise einbrennen wie auf eine Fotoplatte ...

Entscheidung für die Ouzoud-Wasserfälle ...Im Dachcafé bei Tee und Fanta besprechen wir dann das weitere Vorgehen: Zum Einchecken auf dem CP ist es noch zu früh, und wir müssten den halben Tag auf dem Stadtcamp verbringen, wenn wir abends nochmal hierher wollten. Das finden wir doof, irgendwie passt das alles nicht so richtig. Alternative: Wir suchen uns noch ein anderes Ziel weiter nördlich, quasi als der Abschlussknaller der Reise. Etwas, nachdem man sagen kann: "Das war richtig toll, ein würdiges letztes Urlaubserlebnis, jetzt kann´s nach Hause gehen."

Die Entscheidung fällt zugunsten der Ouzoud-Wasserfälle, die schon ein Highlight einer Marokkotour sein können - sofern genug Wasser vom Atlas herunterkommt. Nach unseren Erfahrungen von Immouzer ist das dieses Jahr wohl nicht ganz so sicher, obgleich jetzt im Frühjahr zur Schneeschmelze genug vorhanden sein sollte. Jedoch: "Alea jacta est", und damit sich der Abstecher auch lohnt, müssen wir heute noch Ouzoud erreichen, um dort auch die Nacht zu verbringen. Ich traue mich nicht, die Kilometer zu zählen, ein grober Blick auf die Karte muss genügen um sagen zu können: "Das schaffen wir locker!"

Um möglichst lange auf der gut befahrbaren N8 Tempo machen zu können, nähern wir uns Ouzoud von Norden her an, obwohl die kleinere, kurvigere Straße über Demnate sicherlich interessanter gewesen wäre. Alles in allem geht´s gut voran, die Polizeikontrollen erkennen wir auch alle rechtzeitig, und erst ab der Abzweigung, wo es in die wieder in die Berge hinaufgeht und ein Kurvengeschlängel wie am Vortag anfängt, läuft die Uhr wieder schneller als der Kilometerzähler. Die letzte Stunde durch die hügelige Bergwelt fahren wir bereits im Dunklen, links und rechts sieht man die Hand vor den Augen nicht, aber die Mannschaft ist heute fit, alle halten durch, und zur "Tagesschau" sind wir in Ouzoud ...

Langsam passieren wir die Camps, die an der Dorfstraße im Olivenhain hintereinander aufgereiht sind, aber wonach soll man auswählen, wenn man nichts erkennt? Ein dunkler, jüngerer Typ kommt ans Autofenster, spricht uns ruhig an und bietet uns einen Platz auf seinem Camp an. Klasse, ein richtiger Schwarzer, der auch noch nett ist - den Sympathiebonus hat er und wir fahren die Karre auf ein naturbelassenes Stück Erde zwischen die knorrigen Olivenbäume. Wir melden uns dann bei ihm noch zum Cous-Cous an, das er auf seinem Gaskocher zubereiten und uns unter einer mit Bambusstöcken verzierten Zeltplane kredenzen will. Mal was anderes nach dem lukullischen Genuss gestern im Fresstempel, heute gibt´s wieder afrikanische Hausmannskost - es lebe die Vielfalt! Satt, müde und durchgeschüttelt beenden wir den Tag ...

12. Tag

Morgens eruieren wir erst einmal, wo wir hier gelandet sind. Dass an diesem Ort, den Hinz und Kunz besucht, jeder etwas vom Touristenkuchen abhaben möchte, ist klar, und so haben die, die oberhalb der Wasserfälle im Olivenwäldchen eine Parzelle bewirtschaften dürfen, alle den gleichen Gedanken: Mit einfachsten Mitteln und geringstem Aufwand werden Minimal-Camps und Bambuscafés gebastelt, mit handgeflochtenen Zäunen und Abtritthäuschen, die jeder Beschreibung spotten. Alles macht den Eindruck, als könnte es morgen schon wieder abgerissen werden, und wer weiß, wie legal oder auch nicht diese Einrichtungen sind?! Für diesen einen Tag kann es uns jedenfalls egal sein, zumal wir unser Klo an Bord haben und so vom schlimmsten Siff verschont bleiben.

Ein Wahnsinns-Spektakel ...Ich mache erstmal meinen obligatorischen Rundgang, um nicht nachher mit den zappelnden Kindern auf die Suche nach dem schönsten Blick gehen zu müssen, und damit einem der unzähligen Führer in die Hände zu spielen. Auch die wollen ihr Tortenstückchen ergattern, aber es ist mir wirklich schleierhaft, wie die hier zu einem Job kommen wollen; die ganze Location ist recht übersichtlich, und da, wo es nicht mehr zu Fuß weitergeht und nur noch Wasser hinabstürzt, ist halt der schönste Blick in den Talkessel - so einfach ist das.

Die schönste Sicht auf die Wasserfälle selbst offenbart sich logischerweise von unten am Fluss, wohin man per Fußweg in vielen Windungen gelangen kann. Alles kein Hexenwerk, wofür man einen Lotsen bräuchte. So kaufe ich mir noch einen pfannenheißen Crêpe und schlendere mit fetttriefenden Fingern wieder zum Camp.

Es ist schon ein Wahnsinns-Spektakel, diese Wasserfälle, und damit meine ich auch das komplette Drumherum mit Fressbuden, Klüngelsläden und Restaurants. Der ganze Weg bergab wird von den Bretterbuden gesäumt, und selbst das Pinkeln hinter einem blickdichten Busch lässt sich der davor hockende Bettler bezahlen. Hier wird alles zu Geld gemacht, was der Touri im Entferntesten brauchen könnte, aber alles auf eine nette, liebenswerte Art ohne den Einzelnen zu sehr zu bedrängen. Ganz im Gegenteil - ich ertappe mich dabei, dass ich gerne um dies und das feilschen wollte, hätte ich dazu nur die Kohle zum rauswerfen und verteilen. Mag sein, dass das nahende Urlaubsende mich sentimental und leichtsinnig werden lässt, um Dinge bunkern zu wollen, die einen später zu Hause dann an diese schönen Momente erinnern können ...

Hinter jeder Biegung des Weges gibt es einen neuen Blick auf die tosenden Fälle, und das üppig wuchernde Grün in diesem feuchten Talkessel suggeriert ein wenig Amazonas-Feeling. Unten kann man eine ziemlich marode Brücke erkennen, die bei näherer Betrachtung in Europa sofort wegen Lebensgefahr gesperrt worden wäre, und mehrere Bötchen, die aus bunt bemalten, zusammengebundenen Fässern bestehen (Gefahrenpotential siehe oben), werden ziemlich unbeholfen herumgerudert. Spaßig ist es aber nur für den Zuschauer, wenn sich dann doch jemand auf eine dieser Mini-Titanics wagt und so dicht an den gischtenden Wasserfall gerudert wird, dass das schaukelnde Ding jeden einzelnen abzuwerfen droht. Klatschnass sind sie danach ohnehin alle.

Jedes Restaurant, das man hier beim Abstieg passiert, hat werbemäßig perfekt die dampfenden Tajinetöpfe direkt am Weg auf den glühenden Kohlen stehen, und mancher Wirt vollzieht die grausame Folter, just beim Nase recken den Deckel zu lupfen: Safrangewürzte Kartoffelscheiben, die einen Kegel aus lecker duftendem Fleisch und Gemüse zusammenhalten, lassen einen gewaltigen Appetit entstehen, obwohl es noch viel zu früh am Tag ist und uns das Cous-Cous von gestern Abend immer noch die Bäuche auftreibt. Egal, wir sind verführt, und wie schwach das Fleisch des Touristen angesichts dieser filmreifen Kulisse ist, wissen die Wirte genau - hier wird richtig Reibach gemacht ...

Im Schlaraffenland ... ... Hoffen auf leichte Beute ..?

Der Oberhammer aber sind die Makakenaffen, die sich am Restaurantgeländer einfinden und auf leichte Beute hoffen. Besonders die Kids tragen körbeweise das duftende Fladenbrot zu den Viechern, und unsere machen da keine Ausnahme - ich kann meinen Brotanteil gerade noch retten. Zugegeben, es ist ein netter Zeitvertreib, die Akrobatik der Affen als rheumageplagter Mitteleuropäer zu bewundern, und sie passen ja auch besser hier hin als eine Entenfamilie, aber ich traue diesen Langschwänzen nicht die Bohne und halte Kamera und Sonnenbrillen fest. 

Mit listigem Blick und flinken Fingern leben die hier wie im Schlaraffenland und grabschen nach allem, was nicht festgeschraubt ist. Das sehen wohl auch die Restaurantbesitzer so, denn ein um´s andere Mal gehen die Kellner mit der Drohgebärde eines Alpha-Männchens auf den Pulk los und würden denen liebend gerne, so scheint´s, an die Gurgel gehen.

Die Zeit vergeht viel zu schnell, und als wir am frühen Nachmittag das Auto gepackt haben, fallen sogar Regentropfen - Abschiedswetter. Unser Programm ist durch, wir haben alles gesehen, was wir wollten, und die Wasserfälle von Ouzoud waren wirklich noch der erhoffte Schluss-Höhepunkt. Während der Regen auf´s Dach prasselt, wird der Kalender studiert, und alle Rechnerei ergibt immer wieder das gleiche Ergebnis: Vier Tage Zeit noch, um den Weg nach Hause zu schaffen. Das ist ein ganz komfortabler Zeitrahmen, indem nichts überstürzt werden muss, aber andererseits auch nichts Unvorhergesehenes passieren darf - die Unsicherheitsfaktoren schlechthin sind immer die Grenze und die Fährüberfahrt nach Spanien. Wir beschließen, den verbleibenden Tag zum Gasgeben zu nutzen und peilen für die nächste Übernachtung den von der Hinfahrt bekannten CP in Salé an.

Bald nur noch Erinnerung ...Über diese "Querfeldein"-Fahrt hauptsächlich auf Regionalstraßen gibt es nichts Schönes zu berichten, außer der Tatsache, dass wir spät abends bei nasser Witterung tatsächlich den Platz erreichen, uns angesichts des knallvoll gestellten Geländes hinters Klohaus verholen und die Rollos verrammeln, damit nichts da draußen unser Auge beleidigen kann - ein Stellplatz in Klohäuschennähe sehen wir immer als Höchststrafe an. Aber schön oder gar mit "Stil" soll diese Übernachtung auch gar nicht sein, sondern zweckmäßig und sonst nichts. Rückfahrtstimmung macht sich breit, und dieses unbestimmte, ätzende Gefühl macht uns unterschwellig klar: "Ab jetzt gibt´s nur noch Mist - Scheißwetter, teurer Sprit, missmutige Grenzer, ellenlange Staus und jeden Abend Fertiggerichte!" Wir nehmen die Drohung ernst und schlafen ein ...

13. Tag

Ekelhaft fängt der Morgen an, und allein die folgende Begebenheit bestärkt uns darin, keine Zeit zu verlieren und schnellstens den Kurs wieder aufzunehmen.

Selbst auf solch großen, stark frequentierten Plätzen wie dem Camping International in Salé kommt es zu Stoßzeiten vor, dass die sanitären Anlagen die Grenze ihrer Kapazität erreichen. Dass dieses Stadium jetzt und hier schon zu Ostern erreicht ist, lässt einen am besten gar nicht darüber nachdenken, wie es wohl im Sommer zugeht, wenn auch noch die einheimischen Camp-Familien dazustoßen - und die sind in dieser Beziehung wesentlich leidensfähiger als der gemeine Westeuropäer ...

Konkret: Die Güllegrube mit der Aufschrift "Vidange ici" hat das ständige Entleeren der Chemieklo-Kassetten heute morgen satt und läuft über. Die Folge ist ein schwappender, grünlicher See am Grubendeckel, der sich langsam aber sicher in unsere Richtung ausbreitet. Und während wir noch mäßig entsetzt dem Treiben aus unserem Seitenfenster zuschauen, kommen schon die nächsten Camper mit gefüllter Kassette auf dem "Saniboy". Es herrscht allgemeine Ratlosigkeit.

Dann wird´s ernst, denn die Klofrau rennt resolut herbei, kennt offensichtlich das Problem, watet wenig erschrocken zum Überlauf und rammt dort beherzt eine dicke 2-Liter-Wasserpulle ins Loch. Ein paar kräftige Fußtritte, schon sitzt sie fest und verhindert weiteres Überlaufen. Den fassungslosen Campern, die mittlerweile Schlange stehen, bedeutet sie ihren Mist doch bitteschön im hohen Gras hinter unserem Auto zu entsorgen, was die Leutchen dann auch dankbar annehmen. Dass der Letzte auch da im Gras in der Scheiße steht, die der Erste in kühnem Schwung verteilt hat, scheint er nicht zu bemerken, denn alles ringsum stinkt mittlerweile zu Himmel. Die Klofrau verteilt unterdessen - ein fröhliches Lachen im Gesicht - mit der Gummilippe aus der Dusche die Jauche auf eine größere Fläche in der Annahme, dass sie dort allmählich versickert oder, falls die Sonne noch durchkommt, zumindest verdunstet.

Für uns gilt jetzt "Alarmstufe Rot", fünf Minuten später zahlen wir an der Rezeption 76 DH und machen, dass wir davon kommen. Noch bei Larache habe ich den Gestank in der Nase ...

Wir nehmen natürlich die Autobahn, denn wenn das schnelle Vorankommen Priorität hat, gibt es keine Alternative. Die komplette Strecke von El Jadida bis Tanger kostet übrigens 185 DH, also durchaus bezahlbar. Sie führt jetzt nahtlos bis an die ebenfalls vierspurige Einfallstraße nach Tanger heran, so dass wir trotz des starken Verkehrs schnell durchs Zentrum kommen, und Tanger in Richtung Cap Malabata wieder verlassen. Eigentlich sind es jetzt nur noch die läppischen 70 Kilometer bis Ceuta, und ich rechne mit etwa eineinhalb Stunden bis zur Grenze.

Aber es kommt anders. Etwa auf der Hälfte der Strecke, in einer ehemals riesigen Sandbucht, baut Marokko - wahrscheinlich mit Hilfe der EU - einen monströsen Mittelmeerhafen, um wohl dem steigenden Warenverkehr zwischen den Kontinenten Herr zu werden. Das geht einher mit Autobahnzubringern, die auf riesigen Betonpfählen quer durch die Täler hinter dem Küstengebirge gespannt werden, und dementsprechend sieht das Hinterland aus: Schlammpisten, Absperrungen, Umleitungen, einspurige Verkehrsführung - und zwischendrin der aus Muldenkippern bestehende Baustellenverkehr, mit Reifenwalzen bis an unsere Fensteroberkante. Die ehemaligen Nebensträßchen sind diesem Schwerlastverkehr in keiner Weise gewachsen, Schlagloch reiht sich an Schlagloch, und seitlich der Straßenrand ist einen halben Meter tief ausgewaschen - "Bankette nicht befahrbar!"

Heute weiß ich nicht mehr genau, wie lange das Gerappel und Gepolter gedauert hat; irgendwann kehrte Ruhe ein, die Küstenstraße hatte uns wieder und es war geschafft. Zwei oder drei Stunden müssen dabei liegen geblieben sein, und es wäre sinnvoller gewesen, hinter Larache die Autobahn zu verlassen und nach Tétouan per Landstraße zu fahren. Umleitungshinweise gab´s dort aber keine, obgleich die Baustelle schon seit Jahren besteht - typisch, möchte man fast sagen. Unsere Kiste ist zugesuhlt bis an die Dachkante, und jetzt erst hat sie die Blechpatina, wie man es nach einer solchen Reise auch erwartet ...

Nun noch 2.500 Kilometer Zeit für Gedanken ...

Wir vertanken unser letztes marokkanisches Geld in Fnideq, rollen gespannt an die Grenze, alles geht ruckzuck, und in einer Viertelstunde sind wir in Ceuta. Auf dem Hafengelände schnüffelt uns dann der Drogenköter vom Zoll ab, zuckt kurz mit den Lefzen, schaut ein bisschen dämlich und lässt dann ab. Für einen Moment überlege ich, was wohl passierte, wenn das Vieh Schnupfen hat oder ähnliches und Kiff riecht, wo gar keins ist. Die Gefahr, dass einem noch auf afrikanischem Boden die Kiste zerlegt wird - bis hin zur Demontage des Möbelbaus - ist nicht von der Hand zu weisen, und das wäre wohl der Supergau. Genau genommen hängt unser Zeitplan von einem Tier ab, bei dem man nicht so genau weiß, wie hoch denn die Trefferquote im allgemeinen so ist - ein paar Sekunden schwitzen, dann sind wir durch und an Bord.

Die spanische Flagge auf der Mole begrüßt uns und verabschiedet uns gleichzeitig, als der Katamaran durch die Hafeneinfahrt giert und Kurs auf Algeciras nimmt. Wehmut umgibt uns, als wir durch das aufgewühlte Heckwasser nach Afrika zurückblicken, es ist alles schon wieder so weit weg und doch nur gut einen Tag her, als wir bei einer Tajine noch in die Ouzoud-Fälle geschaut haben ... Wie mag es erst sein, wenn man mit dem Flieger innerhalb von Stunden aus gänzlich anderen Kulturkreisen unserer Erde wieder nach Hause kommt? Da nützt dann wohl auch dreimaliges Schütteln kaum etwas, entweder man ignoriert die Rasanz der Ereignisse und konzentriert sich auf seinen Jetlag, oder man läuft noch eine Woche mit verklärtem Blick durch die Gegend.

Aber uns ist es egal, wir haben jetzt 2.500 Kilometer Zeit, alles gedanklich auf die Reihe zu bringen und uns wieder auf den Alltag zu Hause vorzubereiten. Ein Prozess, der halt seine Zeit braucht ... Wichtig bei unserem vorläufigen Resümee ist es festzustellen, dass wir heil und gesund alles überstanden haben, dass das Auto nach dem einen Patzer auch zuverlässig schnurrt, dass wir keine bösen Begegnungen mit unangenehmem Beigeschmack hatten und im Schnellrückblick einen wirklich schönen, gehaltvollen Urlaub erlebt haben. Das ist ein sehr, sehr befriedigendes Gefühl ...

Ende


© 2007 Detlef Bauer