US Navy "History"

TDR-1:

Wie es anfing mit der "Drohne"


Vorbemerkung der Red.: Wie bereits in unserem Drohnen-Beitrag von 2012 vorausgesagt, haben die unbemannten Flugkörper in der Zwischenzeit nicht nur aus politischen Gründen in rasender Geschwindigkeit weiter an Bedeutung gewonnen, sondern vor allem auch aus militärischer Sicht. Weitgehend unbekannt in Anbetracht ihrer heutigen Bedeutung ist jedoch die Geschichte dieser Flugkörper sowie ihre Entstehung, die (natürlich!) ebenfalls eine militärische ist ...

Autor Bill Lee, im Explorer Magazin seit vielen Jahren bekannt durch seine Artikel auf unserer Sonderseite über die American Star, hat sich nun auch mit diesem Thema befasst, das ebenfalls sein Spezialgebiet der Seefahrt berührt. Zwei seiner Beiträge haben wir zu einer kurzen US Navy "Historie" Reihe zusammengestellt, bei der ganz spezifische Sachverhalte aus der Vergangenheit der US Navy  beleuchtet werden.

Da wir seinen Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Drohne bei der amerikanischen Marine auch aus aktuellem Anlass für eine äußerst spannende und in Teilen unglaubliche Geschichte halten, veröffentlichen wir als ersten Beitrag diesen Artikel erstmals in deutscher Fassung. Im zweiten Artikel befasst sich Bill dann mit der frühen Geschichte von Spionageschiffen der National Security Agency (NSA) - ebenfalls ein nun wieder hochaktuelles Thema!


Vorwort

In den vergangenen Monaten hat die US Navy erfolgreiche Starts und Landungen unbemannter Kampfdrohnen auf See durchgeführt - von Bord von Flugzeugträgern der NIMITZ-Klasse. Angekündigt als das erste unbemannte Fluggerät, das in der Lage ist, von Flugzeugträgern aus zu operieren, wird sich das Zulassungsverfahren der hier eingesetzten X-47B Maschinen für den Betrieb auf Flugzeugträgern bis ins Jahr 2019 erstrecken. Die weitere Finanzierung dieses Vorhabens ist gesichert und die Navy Piloten haben sich bereits darauf eingestellt, dass derartige Maschinen künftig zunehmend eingesetzt werden oder sie mit der Zeit sogar vollständig ersetzen könnten ...

Trägergestützte Drohne X-47B ...

Aber so beeindruckend diese hochentwickelte Maschine auch sein mag, sie wird nicht die erste Drohne sein, die in der Lage ist, von einem Flugzeugträger aus zu Kampfeinsätzen zu starten. Dieser Platz gebührt vielmehr der "TDR-1" der Navy - und das schon seit vielen Jahrzehnten. Obwohl sie bereits vor 70 Jahren in der Lage war, zu Einsätzen von amerikanischen Flugzeugträgern aus zu starten, wurden Operationen der noch in den Kinderschuhen steckenden ferngesteuerten TDR-1 Fluggeräte während des Zweiten Weltkriegs auf pazifische Inselflugplätze beschränkt. Trotzdem flogen sie eine ganze Anzahl erfolgreicher Kampfeinsätze.

Wie man wieder einmal sieht: Es gibt nicht wirklich so viel Neues auf der Welt ...

Der Ursprung der "Drohne": Frühe amerikanische Entwicklung ...

Erste Experimente mit unbemannten Flügen reichen zurück bis in den Ersten Weltkrieg. Allerdings war die Fernsteuertechnik zu dieser Zeit noch nicht fortgeschritten genug, um die Entwicklung eines einsatzfähigen unbemannten Fluggerätes (Unmanned Aerial Vehicle - UAV) zu erlauben. Mitte der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts setzte schließlich die Royal Navy erstmals ferngesteuerte Flugzeuge ein, wobei ausgemusterte Doppeldecker als Ziele für Flugabwehrgeschütze an Bord von Schiffen verwendet wurden.

Eines dieser funkferngesteuerten Flugzeuge mit dem Spitznamen "Queen Bee" (Bienenkönigin) ist im Bild rechts unten zu sehen, während es von einem britischen Kreuzer aus per Katapult gestartet wird. Die "Bienenkönigin" erwies sich dadurch als wertvoll, dass sie in kürzester Zeit Schwächen in der Luftabwehr der Royal Navy aufdeckte. Einmal beschäftigte sie die Mittelmeerflotte über eine Stunde lang: Im Geradeausflug auf ein- und derselben Höhe mit einer Geschwindigkeit von unter 100 mph (ca. 160 km/Std) wurde sie trotz beträchtlicher Anstrengungen der frustrierten Bordkanoniere nicht getroffen ...

Die "Bienenkönigin" am Start ...Im Jahr 1936 wurde der Leiter der amerikanischen Marine Operationen, Admiral Standley, Zeuge eines Einsatzes der "Bienenkönigin" im Rahmen von Schießübungen. Sehr beeindruckt hiervon entschied er, dass auch die US Navy ein ähnliches Übungsgerät einsetzen sollte. Commander Delmar S. Fahrney von der US Naval Academy wurde ausgewählt, dieses Projekt zu leiten.

Fahrney war selbst ehemaliger Pilot und hatte einen Master Abschluss als Maschinenbauer. Zu seiner Zeit wurde er als Visionär eingestuft und oft wird er auch als der "Vater der Lenkwaffe" bezeichnet. In Zusammenarbeit mit der Naval Aircraft Factory in Philadelphia unterstützte er dabei, vier ausrangierte Flugzeuge im Jahr 1937 so umzubauen, dass sie als "drones" (Drohnen) fungieren konnten. Angeblich war der heutzutage übliche Begriff der "Drohne" ein Produkt seiner blühenden Fantasie und auch ein Zeichen seines Respekts für die "Bienenkönigin", mit der alles begonnen hatte.    

Ein Jahr später nahm sich Fahrney vor, eine Bomben tragende "Angriffsdrohne" zu entwickeln: Nachdem er einen alten, langsamen Doppeldecker mit einer Funkfernsteuerung ausgerüstet hatte, versuchte er einen simulierten Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff durchzuführen. Aber ein Glückstreffer der Bordkanoniere zerstörte seine Angriffsdrohne - "Operation erfolgreich" schrieb er dazu, "aber Patient tot" ...

Trotz des Misserfolgs waren die Konsequenzen aber klar: Eine Drohne könnte einen derartigen Angriff fliegen, ohne dass dabei ein Pilot Risiken ausgesetzt würde. Schon bald danach erfuhr Fahrney von einer neuartigen Erfindung: dem Fernsehen. Einer der Erfinder bei der Firma RCA, Dr. Vladimir Zworykin, warb für die Idee einer TV-gesteuerten Drohne, aber niemand beim Militär schenkte dem Beachtung - bis Delmar Fahrney von den Plänen des RCA-Erfinders erfuhr.

Im Anschluss daran entwickelten die beiden die erste TV-gesteuerte Drohne der Welt, ihre Vorführung erfolgte im Jahr 1940. Allerdings: Auch die weckte nicht allzu großes Interesse bei führenden Militärs - bis zum Angriff der Japaner auf Pearl Harbour ...

Entwicklung und Test der TDN-1

Amerikas Eintritt in den Zweiten Weltkrieg schuf ganz plötzlich ein gewaltiges Interesse an allem, was etwas dazu beitragen konnte, den Krieg zu gewinnen. Im Februar 1942 wurde ein Geheimprojekt mit Codenamen "Project Option" gestartet mit dem Ziel, eine praxistaugliche Kampfdrohne zu entwickeln. Fahrney und Zworykin wurden naheliegenderweise dem Projekt zugeteilt.

TDN-1 mit Pilot und Cockpit ...Unter Verzicht auf die frühere Praxis, ausgemusterte Doppeldecker zu verwenden, entschieden sie sich nun dafür, ein kleineres und schnelleres - und dadurch schwerer zu treffendes - neues Flugzeug zu entwickeln. Der Mangel an Materialien, die normalerweise im Flugzeugbau verwendet wurden, zwangen das Projekt "Option" eigene Wege zu gehen: nämlich das neue Flugzeug nahezu vollständig aus Sperrholz zu bauen. Nichtsdestotrotz hatte diese Maschine eine Zuladungskapazität von 2.000 Pfund.

Die neue Maschine hatte eine Spannweite von über 14 Metern und kam mit zwei Lycoming Kolbenmotoren von je 223 PS auf eine Höchstgeschwindigkeit von rund 230 km/Std. Ein grobschlächtiges dreirädriges Fahrwerk stellte sicher, dass eine Bombe oder ein Torpedo unter dem Flugzeugbauch transportiert werden konnte. Zusätzlich hatte die Maschine noch ein herausnehmbares Cockpit, so dass sie von der Fabrik zum Fliegerhorst geflogen werden konnte.

Die neue Konstruktion erhielt die alphanumerische Bezeichnung "TDN-1". Das "T" stand für Torpedo, "D" für Drohne und "N" war aus dem Buchstabencode, mit dem Fugzeughersteller bezeichnet wurden. In diesem Fall stand das "N" für die Naval Aircraft Factory in Philadelphia, Pennsylvania. Die Ziffer "1" schließlich bezeichnete das erste Modell dieser Art.

Letztendlich wurden 114 Flugzeuge des Musters TDN-1 hergestellt, die meisten davon in der Naval Aircraft Factory. Die letzten dreißig wurden jedoch in einer von der Navy an die Firma Brunswick vergebenen Lizenz gebaut - in Friedenszeiten war diese Firma besser bekannt für Konsumartikel wie etwa Bowling-Kugeln oder Billiardtische ...

TDN-1 auf USS SABLE ...Die Testflüge der TDN-1 begannen Ende 1942 und warfen schnell Fragen bezüglich ihrer Fähigkeiten auf. Außerdem war die Maschine teuer und nicht für eine Massenproduktion geeignet. Schlussendlich brachte es keine bis zu einem echten Gefechtseinsatz.

Stattdessen wurden sie für Zielübungen verwendet. Aber im August 1943 bewiesen zwei Maschinen ihre Fähigkeit, vom Deck der USS SABLE zu starten. Die SABLE war ein einst auf den Großen Seen eingesetzter, kohlegetriebener Schaufelraddampfer, der zum Übungs-Flugzeugträger umgebaut worden war ...

Die kampftaugliche Interstate TDR-1 ...

Fahrney hatte bereits früh Schwierigkeiten mit dem Design der TDN kommen sehen und erarbeitete in weiser Voraussicht bereits einen Backup-Plan, noch bevor das erste Modell des Fluggerätes überhaupt in der Luft war. Nachdem sich seine Befürchtungen bewahrheitet hatten, entschied sich die Navy für eine Zusammenarbeit mit der in Los Angeles ansässigen Firma Interstate Aircraft and Engineering, die nun eine neue und leistungsfähigere Drohne entwickeln und herstellen sollte. Bei der Firma handelte es sich um einen kleinen, aber erfahrenen Hersteller ziviler Flugzeuge, darunter auch ein Konkurrenzmodell der berühmten Piper Cub.

Mit der Bezeichnung TDR-1 (entsprechend dem Herstellercode nun mit dem Buchstaben "R" für die Interstate Aircraft) entstand recht schnell ein neues, verbessertes Drohnendesign unter Leitung von Delmar Fahrney. Wie das Vorgängermodell verfügte die TDR-1 ebenfalls über zwei Lycoming Kolbenmotoren, ein dreirädriges Fahrwerk und ein herausnehmbares Cockpit.

Der einfach zu bauende Flugzeugrumpf bestand aus einer Rohrgestellkonstruktion in Leichtbauweise - die Fertigung wurde an den berühmten Fahrradhersteller Schwinn vergeben. Tragflächen, Rumpf und andere Flächen waren mit vorgeformtem Sperrholz beschichtet. Ein weiterer Zulieferer, die Wurlitzer Music Company, unterstützte die Produktion mit Fachkompetenz in Bezug auf Holzarbeiten im Klavier-, Orgel- und Musikboxbau ...

Die TDR-1 (im Bild unten in der Darstellung eines Zeichners aus der Zeit vor der Produktion und mit Kennzeichen aus den Anfängen des Zweiten Weltkriegs) hatte eine Spannweite von 14,60 m und wog rund 2,7 Tonnen, ohne Berücksichtigung von fast einer Tonne zusätzlicher Nutzlast an Sprengkörpern. Nachdem sie in Dienst gestellt wurde, änderte man das dreirädrige Fahrwerk dergestalt, dass es ferngesteuert nach dem Start abgeworfen werden konnte. Dies machte es der unbemannten Kampfdrohne möglich, unter Verzicht auf eine Rückkehrmöglichkeit die Strecke bis zu einem fast 700 km entfernten Ziel zurückzulegen.

Die TDR-1 in der Zeichnung ...

Die erfindungsreichste Neuerung war allerdings ein weiterentwickeltes Leitsystem: Im Bug der Drohne war ein zyklopenartiges "Auge" installiert - Teil des "Block-1" TV-Systems von RCA. Dies war ein Wunderwerk der Miniaturisierung der 40er Jahre, noch lange bevor Röhren durch Transistoren ersetzt wurden. Vladimir Zworykin schaffte es, eine TV Kamera samt Sender in eine Box bzw. einen "Block" einzubauen, der lediglich rund 20 x 20 x 66 cm maß. Das System wog mitsamt Batterieversorgung lediglich 44 kg. In Verbindung mit einem Radarhöhenmesser an Bord konnte das Leitsystem der TDR-1 damit aus einiger Entfernung ferngesteuert werden.

TDR-1 Testflüge

Erste Testflüge der neuen Drohne erfolgten in der zweiten Hälfte des Jahres 1943. Vor ersten Versuchen mit dem neuen Leitsystem wurden noch einige der Flugzeuge von Testpiloten, die in den provisorischen Cockpits mit nur minimalen Steuerungen und Instrumenten hingen, auf Herz und Nieren geprüft. Nichtsdestotrotz notierte einer dieser Testpiloten enthusiastisch: "Die Maschine war außerordentlich stabil. Man konnte mit ihr Manöver fliegen, die bei den meisten konventionellen Flugzeugen zu einem Strömungsabriss geführt hätten."

TDR-1 mit Testpilot

Vor dem Start ...

Aber es gab auch einige Schwachstellen beim Betrieb der TDR-1: Zum Beispiel hatte das Fahrwerk der Drohne keine Bremsen. Während sie startklar gemacht wurde, musste ihr Hecksporn irgendwo an einer Art Bodenanker befestigt werden; für gewöhnlich wurde dafür die Stoßstange eines auf der Startbahn geparkten Lastwagens verwendet. Nachdem die Motoren angelaufen waren, musste jemand der Bodenmannschaft die Leine kappen, damit die Drohne von der Starbahn abheben konnte.

Das "Mutterschiff": TBM-1C ... Nachdem die bemannten Testflüge absolviert waren, standen nun die schwierigeren Aufgaben an, nämlich herauszufinden, wie man die Drohnen bei Kampfeinsätzen fernsteuern konnte. Die Steuerung über das TDR-1 Leitsystem konnte entweder über eine Bodenstation erfolgen oder aber durch ein Begleitflugzeug ("Mutterschiff" genannt). Üblicherweise würde ein erfahrener Operator in einem Tower an der Rollbahn die Drohne während des Starts und der Landung fernsteuern. Für die Operationen im übrigen Luftraum würde dann die Kontrolle an die Besatzung des Mutterschiffes übergeben.

Mehrere Avenger Torpedo-Bomber der Navy wurden nun zu diesem Zweck umgerüstet und in TBM-1C umbenannt. Funkfernsteuerungen für die Drohne wurden zum einen beim Piloten der Avenger Maschine eingebaut. Zum anderen wurde eine zusätzliche Steuerung samt TV-Bildschirm und Radarhöhenmesser im hinteren Teil des Cockpits vom Mutterschiff installiert. Eine einziehbare Kuppel unter dem Rumpf enthielt die erforderlichen Sender und Empfänger.

Sondereinheit STAG-1 (Special Task Air Group One)

Anfang des Jahres 1944 waren rund 1.000 Navy-Angehörige einer geheimen Sondereinheit zugeteilt, die auch eine nicht überlieferte Anzahl an TDR-1 Drohnen sowie TBM-1C Mutterschiffe umfasste. Unter der Bezeichnung STAG-1 erfolgte ein intensives Training an abgelegenen Standorten; zunächst im ländlichen Oklahoma und später an den Ufern vom Michigan See.

Drohne und Mutterschiff ...Nachdem die Besatzungen der Mutterschiffe ausreichende Erfahrungen mit der schwierigen Aufgabe gesammelt hatten, die Drohnen während des Fluges fernzusteuern und mithilfe der TV-Geräte ins Ziel zu bringen, wurde eine Serie simulierter Angriffe gegen einen Leuchtturm an den Großen Seen gestartet, wobei man 500-Pfund Übungsbomben benutzte. Die Operationsbasis hierfür lag in der Stadt Traverse, Michigan, rund 65 Meilen vom Zielgebiet am Leuchtturm entfernt.

Nach Übernahme der Steuerung in der Luft durch den TBM-1C Piloten lenkte dieser die Drohne bis in die Nähe des schlanken hohen Bauwerks. Die Drohnensteuerung wurde dann an den zweiten Piloten an Bord übergeben, der sich im hinteren Teil des Cockpits vom Mutterschiff befand. Während der nun die Drohne auf ihr Ziel zusteuerte, starrte er unter einer schwarzen Stoffhaube auf den kleinen TV-Bildschirm, der auf der rechten Seite der kargen Bedienungskonsole zu erkennen ist (Bild unten rechts).

Karge Bedienungskonsole ...Aufgrund der geringen Priorität von "Project Option" mussten die Entwickler dieser Steuerungen improvisieren: Gut zu sehen ist auf der Bedienungskonsole in der Mitte vom Bild rechts ein "Joystick" ... und eine altmodische Telefonwählscheibe.

Der Joystick war erforderlich für die Steuerung der Fluglage der Drohne und die Telefonwählscheibe war vorprogrammiert, um die Flughöhe einzustellen. Eine "1" war zu wählen für eine Flughöhe von 50 Fuß über Meereshöhe, eine "2" für 100 Fuß usw. Andere Nummern waren vorgesehen z.B. für das Scharfmachen einer Bombe oder den Abwurf eines Torpedos.

Das Ganze war simpel, aber praktikabel - zumindest meistens. Jedoch lösten die Fernsteuerungen Reaktionen bei einer ganzen Serie von Gyros (Stellmotoren) aus, die in einer Drohne installiert waren - und manchmal eben auch Fehlfunktionen. Bei so einer Situation konnte es passieren, dass sich die Drohne etwa in Schräglage neigte oder heftig ins Schwingen geriet. Wirklich aufregend, falls die Drohne mit scharfer Munition unterwegs war ..!

"Project Option" verliert fast alle "Optionen" ...

Nach einer ausgedehnten Trainingsphase erhielt die STAG-1 Sondereinheit im Frühling 1944 die Anweisung, nach Monterey in Kalifornien zu verlegen. Delmar Fahrney war lange davon ausgegangen, dass sein Team auf einem Flugzeugträger für einen Kampfeinsatz eingeschifft würde, sobald es dazu bereit wäre. Allerdings hatte sich das Kriegsglück zu dieser Zeit bereits gewendet und konventionelle Waffen schienen ausreichend zu sein, um das japanische Kaiserreich auf die Knie zu zwingen. Hochrangige Militärs der Navy, einschließlich Admiral Nimitz, konnten sich nicht für die Vorstellung erwärmen, nun noch ein experimentelles, drastisches und unerprobtes Waffensystem ins Gefecht zu schicken.

Unerschrocken machten die Unterstützer des TDR-1 Konzeptes jedoch endlose Lobbyarbeit für die Chance, die STAG-1 an die Front zu bringen. Schließlich erhielt die Einheit tatsächlich eine Chance - oder besser: eine halbe Chance ... STAG-1 wurde zu einem Stützpunkt auf den Russel Inseln beordert, die gegen Ende 1944 nur noch ein Randgebiet im Krieg waren. Feindliche Ziele von Bedeutung würden hier nur noch selten sein.

Am 15. Mai 1944 schifften sich Mitglieder des STAG-1 Personals und dazugehörige TBM-1C Maschinen der Einheit auf einem Begleit-Flugzeugträger ein, der den Südpazifik zum Ziel hatte. Die übrigen Männer folgten dicht dahinter mit einem Navy-Transport, zu dem auch ein Frachter gehörte, in dessen Laderäumen sich Dutzende verpackter Drohnen befanden.

Bugrad abgeknickt...Drei Wochen nach ihrer Ankunft auf den Russel Inseln am 05. Juni 1944 nahm STAG-1 den Flugbetrieb auf - wieder folgte eine weitere Runde von Übungsmissionen. Der kommandierende Offizier hatte vorsorglich die Anfertigung von Farbfotografien organisiert, was sich jedoch schon bald als ein wenig peinlich herausstellte, als das Fahrwerk einer TDR-1 abknickte und die Maschine daraufhin während eines ferngesteuerten Starts mit dem Bug nach vorn kippte.

Da man nicht wusste, dass die unter der Drohne hängende 2.000-Pfund Bombe noch nicht scharf gemacht worden war, stoben die Menschen, die entlang der Starbahn standen, verzweifelt auseinander. Mit Ausnahme eines zertrümmerten Bugrades und zweier abgebrochenen Propeller gab es jedoch nur einen einzigen anderen Schaden: den am Stolz der Einheit ...

Am 30. Juli 1944 erhielten sie schließlich die Genehmigung, einen aufgelaufenen und verlassenen japanischen Frachter anzugreifen: Da sich eine Bombardierung durch Drohnen zuvor als zu ungenau herausgestellt hatte, traf man die Entscheidung, die mit Bomben beladenen Drohnen in einer Mission ohne Rückkehr zum Ziel zu bringen und dort ganz gezielt in das Schiff stürzen zu lassen - wie auch in alle anderen künftigen Ziele.

Letztendlich hatte sich damit Fahrneys Konzept einer unbemannten Kampfdrohne zu dem einer zuverlässigeren - aber nur einmal nutzbaren - Lenkwaffe gewandelt ...

Erster Erfolg der Interstates TDR-1

Auf dem - vermutlich gestellten - Bild unten links ist eine Bodenmannschaft zu sehen, die eine TDR-1 für einen Einsatz vorbereitet. Ihre karge Bekleidung weist auf die große Hitze und Luftfeuchtigkeit hin, denen sie ausgesetzt waren. Deutlich zu erkennen ist die eine Bombe, die die Maschine trägt. Die Bugkappe der Drohne ist noch nicht angebracht, was eine ausgezeichnete Sicht auf das Block-1 TV-System erlaubt.

TDR-1 und Bodenmannschaft ... Kontrastarmes Bild: Green Screen ...

Vier Drohnen wurden mit 2.000 Pfund Bomben beladen und gestartet. Zwei Mutterschiffe TBM-1C folgten, jede Maschine hatte zwei Drohnen zu steuern. Nachdem sie einen Punkt erreicht hatten, der sieben Meilen vom vorgesehenen Ziel entfernt war, übernahmen die Piloten im hinteren Teil der TBM-1C´s die Steuerung der Drohnen und lenkten sie zu dem aufgegebenen Schiff. Die Bilder, die über den TV-Empfänger herein kamen, waren sehr kontrastarm bei geringer Auflösung, wie auf dem Foto des "green screen", des grünen Bildschirms im Bild oben rechts zu erkennen ist.

Man hatte Navy-Filmteams entsandt, um die Angriffsergebnisse von einem nahen Strand aus festzuhalten. Zwei der vier TDR-1 Maschinen erzielten sofortige Treffer, die das Schiff buchstäblich aus dem Wasser hoben. Die anderen beiden Drohnen machten eine Bruchlandung dicht neben dem Frachter. Eine davon explodierte schließlich im nahen Dschungel, die andere hatte eine Fehlzündung. Obwohl die Ergebnisse nicht gerade perfekt waren, ergaben zwei Treffer von vier Versuchen doch einen insgesamt deutlich besseren Durchschnitt, als man ihn normalerweise bei konventionellen Bombeneinsätzen im Zweiten Weltkrieg erzielt hatte ...

Erfolgreicher Angriff ...

Als der kommandierende Offizier von STAG-1 nach Pearl Harbour reiste, um über die Ergebnisse des Angriffs zu berichten, brachte er Filmaufnahmen mit, die bei dem Angriff gemacht worden waren. Die oben gezeigte Folge von Einzelbildern stammen aus diesem Film. Da er der Überzeugung war, dass die Vorstellung der Ereignisse auf dem Film zu der Genehmigung führen würde, die Operationen rund um die Drohnen auszuweiten, zeigte er sich geschockt, als er erfahren musste, dass der Befehl zur Einstellung von STAG-1 erteilt worden war ...

Eine Galgenfrist von dreißig Tagen ...

Befürworter von "Project Option" kamen auf den Plan und beklagten, dass das Multi-Millionen Dollar Programm gerade auf dem Höhepunkt seines Erfolges ausrangiert werden solle. Entgegen allen Erwartungen erreichten sie irgendwie eine dreißigtägige Verlängerung der STAG-1 Angriffsoperationen auf geeignete Ziele bei den Solomon Inseln.

STAG-1 wurde in zwei Kampfgeschwader aufgeteilt, VK-11 und VK-12. Eine Staffel wurde nach Trasury Island verlegt, die andere nach Green Island. Zwischen dem 27. September und dem 26. Oktober 1944 setzten sie dem Feind wiederholt zu: Während eines Monats kamen 46 ihrer Drohnen zum Einsatz. 37 von ihnen erreichten ihre vorgesehenen Zielgebiete und mindestens 21 davon führten erfolgreiche Angriffe durch.

Der Klapperstorch bringt einen Hund ...Die Männer vom Kampfgeschwader VK-12 legten sich ein ganz spezielles Abzeichen zu: Ein Klapperstorch (mit Matrosenmütze), der einen Hund bringt. Das Hundebild war ein Insidergag, da die TDR-1 das Funkkürzel "Dog" (Hund) hatte. Alternativ dazu wurde auch die Abkürzung "BWB" als Codename oder Rufzeichen verwendet, das die Mannschaft scherzhaft mit "Big Wooden Bastard" übersetzte, "Großer Hölzerner Hund" ...

Am 27. September 1944 griff VK-12 einen aufgelaufenen Frachter an, der als feindliche Flugabwehrstellung genutzt wurde. Erst wenige Tage vor diesem Angriff hatten japanische Kanoniere eine Transportmaschine des US Army Air Corps abgeschossen, wobei jeder an Bord ums Leben gekommen war.

Jahre später hielt der Pilot, der eine der Drohnen steuerte, seine Erinnerungen fest: "Ich erinnere mich noch deutlich an meine Aufregung, während ich den körnigen und manchmal mit Störungen übersäten grünen TV-Bildschirm beobachtete, als die von mir gesteuerte Drohne das aufgelaufene Schiff erreichte. Als ein ungewöhnliches Muster kleiner Flecken im Bild auftauchte, dachte ich zunächst an einen Übertragungsfehler. Doch dann wurde mir plötzlich klar, dass es sich dabei um Flugabwehrfeuer handelte! Trotzdem hielt ich die Drohne auf Kurs und konzentrierte mich darauf, die hüpfende Nase der Maschine direkt aufs Ziel zu lenken. Ich korrigierte sie ein wenig wegen des Windes und um das heftigste Flak-Abwehrfeuer zu vermeiden. In der letzten Sekunde hatte ich aus unmittelbarer Nähe einen Blick auf das Schiffsdeck. Dann fror das Bild ein - ich hatte das Schiff mittschiffs voll getroffen und vermutlich jeden an Bord getötet ..."

Die Gefechtsaufzeichnungen von STAG-1 zählen ähnliche Erfolge auf, Tag für Tag. Da sie nicht wussten, dass die Drohnen keine Piloten hatten, berichteten die Japaner über die TDR-1 Maschinen als "Amerikanische Kamikaze". Am 26. Oktober 1944 schließlich, während des letzten Kampfeinsatzes, wurde ein Leuchtturm im von Japanern besetztem Gebiet von 3 Drohnen angegriffen und vollständig zerstört.

Aufgelöst, desillusioniert und enttäuscht ...

Trotz ihres Erfolgs wurde das "Project Option" am Ende der 30tägigen Verlängerungsfrist beendet und die Einheit STAG-1 aufgelöst. Das Geschwaderpersonal wurde anderen, konventionellen Kampfeinheiten der Navy zugeteilt. Jedermann in der Gruppe hatte das Gefühl, dass ihre hart erarbeiten Fähigkeiten und Zukunftschancen vergeudet worden waren ...

Viele der TDR-1 Drohnen und der zugehörigen TBM-1C Mutterschiffe wurden wenig feierlich in der See versenkt. Ende des Jahres 1944 war STAG-1 Geschichte ...

Noch fertig gestellte, aber nicht nach Übersee verschiffte Drohnen wurden später für Zielübungen verwendet oder nach dem Krieg verkauft, für zivile Zwecke als Sportflugzeuge. Hierbei wurden sie mit Cockpit und Instrumenten, aber ohne ihr TV-Steuerungssystem eingesetzt (Bild unten links). Es ist nicht bekannt, dass eine dieser Maschinen noch existiert ...

Einsatz als "Sportflugzeug" ... Dauerausstellungsstück ...

Heutzutage existiert lediglich ein einziges Exemplar der 189 hergestellten Interstate TDR-1 Drohnen. Akribisch überholt ist es ein Dauerausstellungsstück im National Museum of Naval Aviation in Pensacola, Florida (Bild oben rechts).

Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb Delmar Fahrney in einer unveröffentlichten Historie des "Project Option": "Der große Besen des Sieges fegte alle neuen Projekte in den Mülleimer der vergessenen Träume" ...

Nachwort

Es ist Delmar Fahrney anzurechnen, dass er die Entwicklung unbemannter Kampfflugzeuge weiter vorantrieb. Seine Bestrebungen umfassten Pläne für eine verbesserte Version der TDR-1. Die hatte stärkere Sternmotoren und ein sehr viel weiter entwickeltes Block-3 TV-System. Vier Prototypen (Bild unten links) wurden davon gebaut und flogen auch, aber zu der Zeit war der Krieg bereits beendet und die Navy stellte auch diese Tätigkeiten ein.

Interstate Aircraft entwarf mit Fahrneys Unterstützung noch eine Drohne mit Strahltriebwerken und einem grundlegend anderen Tragflächenkonzept (Bild unten rechts). Unter der Bezeichnung XBDR-1 wurde 1944 ein maßstabgetreues Modell in einem Windkanal in Langley Field, Virginia, getestet. Aber das Konzept kam niemals zum Tragen bzw. zum Fliegen ...

Verbesserte TDR-1 ... Entwurf XBDR-1 ...

Fahrney konzentrierte sich später auf die Unterstützung der Entwicklung des nuklearfähigen Regulus Marschflugkörpers. Paradoxerweise verfügte der über kein TV-Steuerungssystem. Das Militär war der Ansicht, man brauche keine echte Präzisionswaffe, da der "nächste Krieg" sowieso ganze Städte mit Nuklearsprengkörpern treffen würde.

Delmar FahrneyFahrney erhielt schließlich den Rang eines Konteradmirals und war einige Jahre lang der Leiter der Navy Lenkwaffenforschung. Im Jahr 1950 trat er nach 32 Jahren im aktiven Dienst in den Ruhestand.

Später widmete er sein Interesse der Möglichkeit extraterrestrischer UFO´s. Im Jahr 1957 errang ein Kommentar dazu von ihm weite Beachtung: "Glaubwürdige Berichte weisen darauf hin, dass Objekte mit hoher Geschwindigkeit und intelligentem Verhalten gesteuert in unsere Atmosphäre eintauchen."

Delmar Fahrney, der Mann, der im Wesentlichen verantwortlich war für den heutzutage fast schon im Übermaß erfolgenden Drohneneinsatz, verstarb 1984 im Alter von 86 Jahren. In diesem Sinne wurde im Juni 2000 ein Gebäude des neuen Hauptquartiers des Naval Air Missile Testcenters in Point Mugu, Kalifornien, bei der Einweihung ihm zu Ehren benannt ... 


© 2013 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin


Hinweis: Weitere Beiträge von Bill Lee finden sich in unserer Autorenübersicht


Anm. der Red.: Im nächsten Jahrhundert tat sich viel im Bereich der Drohnen: Wir haben dazu zwei weitere Beiträge im Magazin, der erste befasst sich mit den Anfängen auch der privaten Nutzung und der zweite bereits mit einer Zeit, wo schon viele ein solches Gerät ganz einfach als weiteren "Fotoapparat" dabei haben - so auch das Explorer Team!