Donnerstag, 08.05.2003

Inzwischen ist es 5 Uhr, der Wecker piepst und ich schleiche mich aus dem Schlafzimmer. Um kurz nach 6 Uhr, meine Familie schlummert noch tief und fest, bin ich dann tatsächlich "on the road": Es geht - wie sollte es bei einem Bayern auch anders sein - nach Italien.

Stumme Zeugen des Ersten Weltkriegs ...Mein Ziel liegt in der Nähe von Bassano del Grappa, auf der Strecke zwischen Trient und Padua im Valsugana. Der angepeilte Stützpunkt ist ein Campingplatz bei dem Ort La Rocca in der Gemeinde von Arsie

Das Dorf liegt auf einem kleinen Plateau an einem Stausee und soll mir als Ausgangspunkt zu kleinen Offroad-Abenteuern dienen. Als Ideengeber hierfür leistet (wie bereits bei meiner Ehrenrunde am Monte Zoncolan) Gerstl/Leeb - "Geländewagentouren Band 1" seine Dienste.

Nach 6 Stunden problemloser Fahrt komme ich gegen 12:15 Uhr im Camping al Lago in La Rocca an. Da ich Kartenlesen und gleichzeitiges Autofahren nicht so gut beherrsche, biege ich zu früh von der SS47 ab. Dadurch komme ich auf eine ehemalige Militärstraße Richtung Arsie, an der etliche Ruinen als stumme Zeugen des Ersten Weltkriegs erhalten geblieben sind.

Der Campingplatz ist der Jahreszeit entsprechend wenig belegt und meine Kopfschmerzen und die schwüle Hitze machen den Entschluss leicht, heute nur die nähere Umgebung zu besuchen und mich von der Fahrt zu erholen.

Der Stausee, der direkt an den Campingplatz grenzt, hat aufgrund des bisher sehr trockenen Frühjahrs extrem wenig Wasser und vom steilen Ufer aus sieht man unten jede Menge Fische. Die Tafeln, die überall entlang des Ufers zu finden sind, machen jedoch unmissverständlich deutlich, dass hier ohne Genehmigung nicht geangelt werden darf. Eigenartige Angelflöße in rostigem "Torpedodesign"  liegen am Ufer und warten auf ihren Einsatz.

Später mache ich mich daran, mein Tarp am Auto zu befestigen. Aufgrund der instabilen Wettersituation - schwülwarm und vorhergesagte Gewitter und Schauer -, hoffe ich, dass die Konstruktion hält: Das Auto wäre ja sonst mein einziger "Wohnraum". 

Gegen 15 Uhr frischt der Wind auf, die Wärme ist mittlerweile heftig gestiegen und erreicht bereits ca. 30°C. Das Stirnrunzeln, das mich befällt, als ich auf einem kleinen Spaziergang 100 m vom Campingplatz entfernt eine Motocross-Strecke sehe, entspannt sich nach einem Blick auf ein ausgeblichenes Plakat: Das Rennen war letzte Woche!

Am Stausee ... Camping mit Tarp ...

Motocross war letzte Woche!

Beim Abendessen mit Bratkartoffeln und Wiener sitze ich vor meiner Pfanne und stelle fest, dass ich schon ewig nicht mehr mein einziger Essenspartner war. 

In der Zwischenzeit beginnt sich der Platz zu füllen: Holländische und deutsche Wohnmobile, Motorradfahrer, Zelter. Von wegen "Nebensaison".

Die Motocross-Strecke macht mittlerweile doch Lärm: Seit einiger Zeit planiert dort ein Bulldozer mit lautem Gebrumm in alle möglichen Richtungen. Nun ja, es hätte ja auch sonst allzu einsam sein können. Mein abendliches "Probeliegen" bei 19°C Außentemperatur und 22°C im Auto wird zum Kampf mit dem Schlaf: Um 22 Uhr gebe ich den schließlich auf und beziehe endgültig meine Koje und genieße mein komfortables Lager ...

Freitag, 09.05.2003

Die Nacht war ruhig und warm, im Auto hatte ich 18°C und draußen noch ca. 15-16°C. Frühstück gibt es in der Morgensonne: Sogar meine von zu Hause mitgebrachte Butter hat sich gehalten, obwohl ich zur Schonung der Autobatterie die Kühlbox frühzeitig abschalten musste.

Arsie ...Nach dem Frühstück mache ich mich daran, das Tarp so umzubauen, dass ich mit dem Auto wegfahren kann und das Zeltsegel sicher stehen bleibt. Um halb Zehn ist es dann soweit: Ich nehme meine erste Offroadtour in Angriff. Es geht auf Grundlage von Gerstl/Leeb zum "Forte-Leone". Von Arsie aus geht es sofort kurvenreich bergauf zum Col Perer. 

Ich stelle fest, dass es mein Kilometerzähler etwas eiliger hat, als die Angaben im Roadbook. Dennoch finde ich alle beschriebenen Punkte ohne Schwierigkeiten. 2 km vor dem Fort beginnt eine gute Schotterpiste mit einigen Kehren und als ich oben ankomme, sind dort zwei Wanderer außer mir die einzigen Besucher. Die Festung ist riesig, aber leider wegen Einsturzgefahr abgesperrt.  

Angesichts der mit T-Trägern vor dem Umfallen geschützten Frontwand verzichte ich auch darauf, mich an der Absperrung vorbei zu mogeln. Ich habe keine Lust, hier als Eintrag auf einem Gedenkstein zu enden ...  

Die weitere Erkundung der Umgebung bestätigt dann meine Ahnung: Die im Buch als "leicht zu Öffnen" beschriebene Schranke ist inzwischen mit einem Schloss gesichert und der weiterführende Weg quer über den Bergrücken existiert nicht mehr. Auch eine Alternativroute über die etwas weiter unten liegende Alm ist mit Schranken abgesperrt. Es bleibt also nur die gleiche Schotterstrecke zurück zur Passstraße zu nehmen - waren in der Vergangenheit hier doch schon zu viele Offroader dem Buch gefolgt ..?

Schotterpiste beginnt ... ... mit etlichen Kehren ... ... doch leider ist das Ziel abgesperrt!

Weiter geht es nun nach Castello Tesino, einem Bergdorf auf der anderen Seite des Col Perer. Die Lage des Örtchens ist traumhaft und ein kleiner Supermarkt gibt mir die Möglichkeit, meine Vorräte mit italienischer Salami und Panini aufzufüllen. Es wird schließlich bald Mittag und ich will meine Brotzeit im Parco della Cascatella machen, der gleich hinter Castello Tesino liegen soll.

Mitten im Ort stelle ich fest, dass heute Markttag ist und die Hauptstraße erweckt den Eindruck, als wäre das Durchfahrverbot auf dem Schild ernst gemeint. Auf eine unschuldige Frage bei einem Carabinieri erhalte ich jedoch die Antwort, dass es zum Passo Brocon geradeaus durch den Markt geht und ich doch "a dritto" durchfahren solle. Gesagt, getan - denn wenn es die Obrigkeit befiehlt, muss man ja schließlich ein Verbot missachten.

Einen Kilometer später komme ich an der Einfahrt zum Parco della Cascatella an: Ein kitschiger Torbogen aus Holz überspannt die Einfahrt. Auf einer Seite steht geschrieben, dass man kostenlos zu Fuß 200 m eine steile Straße hinunter gehen kann. Will man jedoch nach unten fahren, kostet es für Motorräder 2,- Euro und für Autos 5,- (!) Euro Parkgebühr. Nachdem sich meine erste Wut über die unverschämten Preise wieder gelegt hat, beschließe ich, doch nach unten zu fahren. Es ist schließlich kein Wochenende und außerdem Nebensaison. 

Im Talgrund angekommen bestätigt sich meine Ahnung: Ich bin weit und breit der einzige Mensch und niemand macht den Versuch, mich um 5 Euro zu erleichtern. Zu Fuß mache ich eine kleine Runde durch die "Attraktionen": Ein verbarrikadierter Kiosk, zwei Volleyballfelder und ein kleiner Kinderspielplatz liegen vor dem Namensgeber des Parks.

Wasserfall ... ... mit malerischem Tal ...

Ein Wasserfall plätschert hinten an der Felswand in einen kleinen Tümpel. Der Rest des Tales ist sehr malerisch, jedoch versperrt auch hier eine Schranke die Weiterfahrt auf der Schotterstraße. Im Park will ich allerdings nicht bleiben, da ich ständig das Gefühl habe, es könne gleich ein wildgewordener Gebühreneintreiber kommen und sich mit der Forderung nach 5 Euro über meine Reisekasse hermachen. Hungrig fahre ich weiter ...

Brückenidyll ...Die Straße ist im weiteren Verlauf sehr eng und kurvig und ich finde erst einige Kilometer später am Ende des Weilers Costa eine Ausweichstelle mit etwas Schatten, auf der ich anhalten kann. Gleich werden Salami und Panini ausgepackt. Während ich genüsslich kaue, entdecke ich am Ende des Platzes einen Wegweiser: Er zeigt bergab in einen Holweg und verheißt eine römische Brücke aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Die Brücke war einer weiteren Tafel nach Teil der römischen "Via Claudia Augusta".

Noch mit dem letzten Bissen im Mund mache ich mich zu Fuß auf den Weg: Nach ca. 100 m ist die Brücke auch schon zu sehen. Die Vegetation ist noch spärlich und ich gehe neben dem Weg in Richtung Bach, um ein schönes Foto machen zu können. Um mich herum sprießt gerade der Schachtelhalm und derartig beeindruckende Exemplare (ca. 30 cm hoch und dick wie Spargel) habe ich selten gesehen. Die Brücke ist in einem erstaunlich guten Zustand und ich mache aus der Nähe noch eine Aufnahme. 

Gerade als ich mich umdrehe, raschelt es heftig hinter mir: Zur Salzsäule erstarrt sehe ich eine dicke, ca. 1,50 m lange schwarze Schlange, die 10 m von mir entfernt über den Weg ins Gemüse flüchtet. Übrigens genau an die Stelle, an der ich zuvor friedlich zwischen den Schachtelhalmen mein erstes Foto gemacht hatte. Meine Gänsehaut hält sich, bis ich wieder am Auto bin ...

Mit meiner Brotzeit und einem etwas mulmigen Gefühl im Magen fahre ich jetzt weiter Richtung San Donato: Die Straße ist meist nur einspurig und teilweise kühn aus dem Fels gesprengt. Angesichts der an manchen Stellen in den Fangnetzen liegenden Brocken sollte man hier die Warnung vor  "Steinschlag"  eher gegen "Felssturz" austauschen. In manchen Kurven kann ich mich zudem nicht zurückhalten, ebenso wie die Einheimischen auf die Hupe zu drücken, um evtl. Gegenverkehr zu warnen.

Plötzlich weitet sich die Straße und ich bin mitten in San Donato. Ein kurzer Blick ins Roadbook und ich fahre geradeaus weiter in die Via Brocon, die nach wenigen Metern in Schotter übergeht. Das anfangs gut erhaltene Sträßchen wird nun zunehmend schlechter und enger: Immer öfter muss ich in unzähligen Kehren zurücksetzen und bald beschließe ich, nur mehr in der Untersetzung weiterzufahren ...

Auf der Via Brocon ... ... mit spitzen Kehren ...

Frisch abgesägtes Bruchholz neben der Straße und auf die Seite geräumte Felsbrocken zeugen davon, dass der Weg erst vor kurzem wieder befahrbar gemacht wurde. Trotzdem bleibt die Angst, an eine Engstelle zu kommen und rückwärts bis zur nächsten, meist gefährlichen Wendemöglichkeit fahren zu müssen. Ohne Beifahrer, der einen notfalls einweisen kann, würde dies zu einer nervenaufreibenden Sache werden ...

Neue Holzschilder weisen darauf hin, dass die Passstraße in das Mountainbike-Wegenetz der Region aufgenommen wurde. Letztendlich habe ich es wohl diesem Umstand zu verdanken, dass die Spuren des letzten Winters bereits beseitigt sind und ich weiter fahren kann.

Die herunter hängenden Äste kratzen über das Dach und rechtfertigen, dass ich bereits in San Donato meine Amateurfunkantenne abmontiert habe. Aber auch am Boden lauert Gefahr in Form von spitz aufragenden Gesteinsbrocken, die nur darauf warten, sich in das Profil oder die Reifenflanke zu bohren. Bei den diversen Ausweichmanövern denke ich mir, dass es wohl auch für Hardcore-Mountainbiker stellenweise kein Spaß sein wird, diese Strecke unter die Räder zu nehmen.

Albergo ... ... mit Kriegerdenkmal ...

Nach einer guten Stunde Fahrt und 13 km einsamer Kurbelei komme ich mit einem gewissen Siegesgefühl oben auf der Passhöhe an: Ich gönne mir einen hervorragenden Cappuccino in der "Albergo Passo Brocon" neben dem Kriegerdenkmal und fahre dann auf der offiziellen Passstraße zurück nach La Rocca. Auch hierbei fasziniert mich der Straßenbau in der Region: Mancher Tunnel geht über 3 km gerade durch den Berg und verkürzt die Fahrzeiten zwischen den Ortschaften enorm ...

6 Stunden, nachdem ich aufgebrochen bin, erreiche ich wieder den Campingplatz. Die aufziehenden Gewitterwolken machen anscheinend einen Bogen um mich herum und so bleibt es auch diese Nacht ruhig und mild ...


© 2003 Text / Bilder Matthias Bernhard