Auf in´s Silberbergwerk!

Wir erreichen schließlich unser Ziel: Eine ganze Gruppe von Besuchern hat sich bereits am Silberbergwerk versammelt, gemeinsam mit ihnen werden wir 800 Meter tief in den Berg "einfahren". Die angekündigte Temperatur von 12°C, die ganzjährig im Bergwerk herrschen soll, das auch als "pollenfreie Zone" angepriesen wird, erscheint heute wie eine Verheißung: Für rund eineinhalb Stunden werden wir auf diese Weise endlich einmal den draußen herrschenden tropischen Temperaturen entfliehen können!

Die Besuchergruppe wird zünftig eingekleidet: Da wir nun mehr als eine Stunde lang unter tropfnassem Gestein unterwegs sein werden, und das in recht niedrigen Stollengängen, sind Schutzhelm und ein wasserdichter Mantel angesagt - insbesondere der Schutzhelm wird sich später als sehr hilfreich erweisen, nachdem mehr als nur einmal der Kopf an niedriges Felsengestein anschlägt ...

Bereits bei Annäherung an den Stolleneingang spürt man den kalten Hauch des Berges, der bis hinaus auf den Bürgersteig strömt. Erstaunlich erscheint, dass etliche Besucher mitsamt ihren Kindern hier mit bloßen Beinen einfahren wollen, obwohl überall die Aufforderung zu warmer Kleidung zu lesen ist - man muss wohl Verständnis haben für diese Leute, die sich in Anbetracht von Temperaturen weit über 30°C draußen wohl auch nicht vorstellen können, dass es unten heute anders zugehen wird ...

Ausgehöhlt: Hier liegt das Schwazer Silberbergwerk ...

Die "Barbara" wird heute nicht mehr fahren ... Kalter Hauch: Stolleneingang mit "Wetterstrom" ...

Schon beim Betreten des Stollens direkt an der Straße wird klar, dass die angekündigten 12°C wohl nicht die ganze Wahrheit sind. Auch wenn die absolute Temperatur wohl zutreffen mag, wird dabei doch übersehen, dass der Berg hier und heute besonders schwer "atmet": Es herrscht heftiges "Sommerwetter" im Berg, die im Vergleich zu draußen erheblich kältere Luft strömt aus dem Berg nach außen und trifft uns damit bereits als "Gegenwind", bevor wir überhaupt die Fahrt antreten, die uns nahezu waagerecht in den Berg führen wird.

Voraussetzung für diese "Konvektionsströmung" ist das Vorhandensein unterschiedlicher Stollenöffnungen, so genannter "Mundlöcher". Herrschen im Berg und außerhalb die gleichen Temperaturen, kommt der Wetterstrom zum Stillstand. Ist es draußen jedoch kälter, zieht die kältere Luft in den Berg, wird dort erwärmt und steigt wieder als "warme" Luft über höher gelegene Stollen zurück an die Oberfläche. Heute nun ist es genau umgekehrt, und das recht heftig: Bei solchen Wetterlagen wurden hier schon mehr als 5 Meter pro Sekunde "Wettergeschwindigkeit" gemessen, was einem Gegenwind von fast 20 Stundenkilometern entspricht.

Die ersten Stollenbesucher ahnen nun bereits was auf sie zu kommt, während der Führer unserer Gruppe noch Verhaltensmaßregeln erläutert, als wir in den "Hunts", den Loren des Bähnchens, Platz genommen haben. Da der Stollen auf der 800 Meter langen Strecke kaum breiter und höher ist als die Bahn mit ihren Passagieren, dürfen weder die Hände noch der Kopf allzu weit ausgestreckt werden - bei der ratternden Fahrt würde es diesen Körperteilen nicht gut bekommen, an den tropfnassen Felswänden anzuschlagen. Als die Fahrt beginnt, wirkt es erstaunlich, dass dies in Anbetracht der zahlreichen Kinder an Bord immer gut geht - eine Unfallstatistik der letzten Jahre würde heute sehr interessieren!

Modisch elegant: Professionelles Outfit wird gereicht ... Nicht bewegen: Einfahrt ins enge nasskalte Innere ...

Die minutenlange Fahrt durch den dunklen und nur schwach beleuchteten Tunnel, während der unaufhörlich Wasser auf die Schutzhelme heruntertropft, erscheint deutlich länger durch den nun noch einmal verstärkten Gegenwind: Zusammen mit der ohnehin schon vorhandenen Wetterströmung hin zum Ausgang entsteht heute ein beträchtlicher Windchill, der die behaupteten 12°C ad absurdum führt.

Als wir endlich nach langer Fahrt den Loren entsteigen, sind etliche Besucher bereits unterkühlt - es wird weniger als die zu erwartenden 90 Minuten im Berg dauern, bis die ersten Kinder anfangen werden, über die feuchte Kälte hier unten zu jammern ...

Die folgende Führung durch das Stollenlabyrinth, das für das Schaubergwerk freigegeben ist und nur einen Bruchteil des insgesamt im Berg vorhandenen Gewirrs aus kaum abgestützten Gängen inmitten des harten Dolomitgesteins ausmacht, ist beeindruckend: Durch die in nur schwach beleuchteten Gängen aufgebauten Knappenfiguren in ihren mittelalterlichen Ausrüstungen wird eine intensive Atmosphäre geschaffen, die bei den besonders harten Arbeitspassagen fast schon den Eindruck einer Geisterbahn erwecken kann. Angereichert durch Filme, die auf unterirdische "Leinwände" aus Steinplatten projiziert werden, erhalten wir einen guten Eindruck mittelalterlicher Schwazer und Tiroler Geschichte samt tiefem Einblick in den extrem harten Arbeitstag der damaligen Bergleute, die hier vom 15. bis hinein ins 19. Jahrhundert schufteten - zum Wohle von Fuggern und anderen zeitgenössischen Turbokapitalisten ...

Zwei "Knappen" bei der Arbeit ... ;-))
War es so einst im Schacht ..?
... oder doch Unfug: Erzgewinnung durch Brand und kaltes Wasser ..?
Interessierte Besucher ... ... und nachgestellte Szenen harter Arbeit ...

Verwaltung muss sein: Zwei "Hutmänner" bei der Arbeit ...

Dass die "Show" im Schaubergwerk Vorrang hat u.U. auch vor inzwischen belegten Fakten, zeigt das auch im Silberbergwerk verkaufte Buch "Glück auf" von Palme, Gstrein und Ingenhaeff, das wir später kaufen werden: Nicht nur die gezeigte frühe Methode des Abbaus von Silbererz durch Brand und Überschütten mit kaltem Wasser wird dort klar als Unfug bezeichnet. Auch andere Sachverhalte, wie z.B. die angebliche Arbeitsweise von 600 "Wasserknechten" bei der Entwässerung der Grube  wird ins Reich der Fabel verwiesen. Für diejenigen, die sich genauer mit dieser wichtigen Geschichte Tirols und auch den technischen Hintergründen wie z.B. der dort vorhandenen "Wasserkunst", einer maschinellen Entwässerung, beschäftigen möchten, ist das Buch sehr zu empfehlen.

Nach der eineinhalbstündigen Reise durch die unwirtliche unterirdische mittelalterliche Arbeitswelt voller Gefahren und die wechselvolle Geschichte des Schwazer Silberbergbaus geht es wieder zurück mit der Bahn - diesmal in Richtung des "Wetterstroms". Trotzdem: Ein jammerndes Kind will im Anschluss freiwillig gleich ins Bett, wie es noch im Stollen seiner Mutter erzählt - es hofft, sich dort wieder aufwärmen zu können ...

Vorführung der "Wasserkunst" ... und ein Modell wie es funktionierte ...
Schwazer Silberbergwerk: Erzförderung Schwazer Silberbergwerk: Hauer ... Schwazer Silberbergwerk: und noch einmal Hauer ... Schwazer Silberbergwerk: "Huntstoßer" ...

Für uns ist die Rückkehr an die "Oberfläche", eine rasende, rüttelnde Fahrt im engen Stollen, die ja wieder nur eine fast waagerechte Reise aus dem Berg heraus bis zum Stollenausgang ist, auch eine Rückkehr in die gnadenlose Gluthitze, die heute über Schwaz liegt: Wie ein Keulenschlag trifft die brütende Hitze die Rückkehrer aus dem nasskalten Berg - ein Bier oder auch zwei sind nun im Restaurant am Bergwerk fällig. Und bevor wir den Weg zurück zum Camp antreten, werden wir uns noch einmal auf den kurzen Weg zum Stolleneingang machen - zu schön ist heute der kalte Hauch des "Wetterstroms", der auch den davor liegenden Bürgersteig bestreicht ...

Am morgigen Sonntag werden wir zurück nach München fahren - die Vorbereitungen der Holländer auf das "Public Viewing" von "ihrem" Endspiel gegen Spanien sind dann schon in vollem Gange. Wir müssen das nicht hier erleben, Fernsehen kann man auch zu Hause, und nach einer solchen Tour erst recht ..!


© 2010 Explorer Magazin, Großbilder unten: Silberbergwerk Schwaz